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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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will doch gar nicht …», begann sein Doppelgänger. Doch Wells unterbrach ihn.
    «Wähle bitte ein Ende, bei dem die Marsmenschen vernichtet werden. Man darf seine Leser nicht entmutigen.»
    Der Junge brachte ein skeptisches Lächeln zustande.
    «Gut. Wenn ich sie eines Tages schreiben sollte, werde ich das tun. Aber …» Er zögerte. «Wie soll man solche gewaltigen Kampfmaschinen denn besiegen können?»
    Wells zuckte die Achseln.
    «Keine Ahnung, aber dir wird schon was einfallen, Junge. Bis es so weit ist, hast du ja noch viel Zeit, darüber nachzudenken.»
    Der Junge quittierte den Auftrag des Fremden mit einem belustigten Lächeln. Wells tippte sich zum Abschied an die Hutkrempe und ging davon, stand aber trotzdem immer noch an derselben Stelle auf der Strandpromenade, und seine Lippen umspielte erstmals jener ironische Zug, der später fester Bestandteil seiner Mimik werden sollte.

XLII
    Es mussten noch siebzehn Jahre vergehen, bis dieser von seinem Schicksal unnachgiebig zum Schriftsteller beförderte Junge
Krieg der Welten
schrieb. Als Wells schließlich den Roman in Händen hielt, blätterte er wehmütig durch die Seiten des Buches, wie er auch die Seiten seines Lebens durchgeblättert hatte, denn in dieser Zeit hatte er den Jungen von der Strandpromenade heranwachsen sehen, gesehen, wie er erleichtert das Tuchgeschäft in Southsea hinter sich ließ, um bei Mr. Byatt zu arbeiten, ein Stipendium für die Normal School of Sciences in London zu ergattern und seine Cousine Isabel zu heiraten, wohl wissend, dass er sich schon bald wieder scheiden lassen würde, um mit Jane zusammen am Mornington Place zu leben. Er hatte ihn auf der Treppe des Charing-Cross-Bahnhofs Blut spucken,
Die Zeitmaschine
veröffentlichen, wütend vor dem Gebäude von ZEITREISEN MURRAY stehen und nach Woking in das Häuschen mit Garten ziehen sehen … Und alles war genau so gekommen, wie es vorgesehen war, ohne dass Wells die geringste Veränderung im Lauf des Geschehens bemerkte. Und jetzt, mit dem Roman in der Hand, konnte er sich endlich davon überzeugen, ob das riskante Gespräch, das er auf der Strandpromenade von Southsea mit sich selbst geführt hatte, von Nutzen gewesen war.
    Sein Roman war so gut wie identisch mit dem, den er selbst geschrieben hatte, doch zu seiner großen Freude konnte er feststellen, dass er in zwei Punkten abwich: Die Marsmenschen verwüsteten die Erde nicht mit rochenförmigen Fluggeräten, sondern mit spinnenähnlichen dreibeinigen Kampfmaschinen, die den Leser den Schrecken viel unmittelbarer erleben ließen. Als er die Seiten las, durchlebte er selbst noch einmal das Grauen der Flucht vor den echten Kampfmaschinen, die ihm manchmal nur noch wie ein böser Traum vorkamen.
    Dass er die Flugapparate durch Kampfmaschinen ersetzt hatte, war eigentlich nebensächlich. Der wahre Grund, warum Wells damals das Risiko eines Gesprächs mit seinem fünfzehnjährigen Selbst eingegangen war, war ja gewesen, ihn zu einem anderen Ende zu überreden. Jetzt stellte er dankbar fest, dass der Junge sein Versprechen gehalten hatte. Hatten in seiner Version die Invasoren vom Mars den Planeten erobert und die wenigen überlebenden Menschen zu Sklaven gemacht, so wurden sie in dem von seinem zeitlichen Doppelgänger geschriebenen Roman schon wenige Tage nach ihrer Landung besiegt. Allerdings nicht von den Menschen. Wie hätten die das auch anstellen sollen? Was die Marsungeheuer umbrachte, waren die kleinsten Lebewesen, die Gott in seiner unendlichen Weisheit in die Welt gesetzt hatte: Bakterien. Ja, nachdem der Mensch mit all seinen Waffen gescheitert war, hatten diese mikroskopisch kleinen Lebewesen, die dem Menschen seit Anbeginn der Zeiten zugesetzt und ihn gnadenlos dezimiert hatten, bis er gegen sie immun geworden war, sobald die Marsbewohner gelandet waren, deren Organismen befallen wie früher die der Menschen: unbemerkt, unaufhaltsam, unwiderruflich tödlich. Da es auf dem Mars keine Bakterien gab, hatten seine Bewohner auch keine Abwehr gegen sie entwickeln können. Sie waren gewissermaßen schon zum Tode verurteilt, bevor sie noch einen Fuß auf die Erde gesetzt hatten.
    Angenehm überrascht musste Wells zugeben, dass der Junge von der Strandpromenade die ihm gestellte Aufgabe mit Bravour gelöst hatte, denn ihm war eine originelle und überraschende Möglichkeit eingefallen, wie die Marsmenschen trotz ihrer gewaltigen Kampfmaschinen besiegt werden konnten. Im Unterschied zu seiner Version würde der Leser
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