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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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Apparatur zu drehen und stürzte die gaffende Menge in einmütiges Schweigen. Vorn in der ersten Reihe unterbrachen sein Doppelgänger und Agent Clayton ihr Gespräch und starrten ebenfalls auf die Flugmaschine. Wenn Wells sich recht entsann, hatte Clayton ihm gerade gesagt, dass in weniger als einer Stunde die Armee eintreffen und den Flugapparat umstellen werde, und er hatte den Agenten davon zu überzeugen versucht, dass so ein Aufmarsch völlig unnötig sei. Vielleicht aber war er das doch nicht, genau wie damals nicht, dachte Wells jetzt in Erinnerung an den Hitzestrahl, der so unvermutet abgeschossen worden war und innerhalb von Sekunden vier oder fünf Menschen in Aschehaufen und die Weide später in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Sollte das jetzt etwa wieder passieren? Hatte er den Gesandten vergebens in tausend Stücke gesprengt? Wells sah, wie der Deckel sich löste und scheppernd zu Boden fiel. Mit bis zum Hals pochendem Herzen stellte er sich darauf ein, in der nächsten Minute von einem Hitzestrahl getroffen zu werden und in Flammen aufzugehen.
    Einige Sekunden lang passierte nichts. Dann löste sich aus dem Innern der Apparatur eine Art bengalisches Licht, das geschwind in den Morgenhimmel aufstieg und in der Höhe mit einem dumpfen Knall zerplatzte, woraufhin es sich zu einer rötlichen, glitzernden Blume entfaltete. Gleich darauf folgte ihm ein anderes, dann ein weiteres und noch eines, bis der Himmel ein einziger Garten aus leuchtenden Palmen und blinkenden Blumen war. Wells starrte fassungslos auf das Schauspiel und hatte kaum Zeit zu begreifen, dass das Raumschiff ein Feuerwerk abbrannte, denn schon kam ein Schwarm exotischer Vögel herausgeflattert, eine farbenprächtige Schar, die sich sogleich in alle Richtungen verteilte und über die Köpfe des staunenden Publikums davonflog wie bei einem heidnischen Pfingstfest. Gleich darauf vernahm man die lustigen Klänge einer Jahrmarktsmusik, von der die Leute zuerst glaubten, sie käme auch aus dem Raumschiff, doch als sie lauter wurde, wandten sich alle Köpfe dem nahen Wäldchen zu, aus dem man jetzt eine Musikkapelle heranmarschieren sah. Die in bunte Phantasieuniformen gekleideten Musiker marschierten zackig über die Weide und ließen die Luft unter den fröhlichen Klängen von Pauken und Trompeten und Tschinellen erbeben. Zum Erstaunen der Menge kam hinter den Musikern ein Dutzend Pferde galoppiert, auf deren Kruppen bildhübsche Akrobatinnen Kunststücke vollführten. Und es ging pausenlos weiter, denn aus dem Raumschiff kamen nun indische Fakire gesprungen, die Feuer schluckten und puffende Flammenwolken in die Luft bliesen.
    Wells betrachtete das Ganze mit ungläubigem Staunen, während ihn zugleich ein ungeheures Gefühl der Erleichterung durchströmte. Wie es aussah, würde er doch nicht sterben. Niemand aus der riesigen Menschenmenge hier würde sterben. Er war zwar in einem anderen Universum gelandet als dem, von dem aus er aufgebrochen war, aber es war offensichtlich eines, in dem niemals ein Gesandter von fremden Sternen in der Antarktis gelandet war. Was immer in diesem Fall passiert war, das dort vorn gelandete Raumschiff war ausschließlich Murrays Werk, daran gab es keinen Zweifel mehr. Die echten Raumschiffe vom Mars – falls sie wirklich jemals in dieser Wirklichkeit gelandet waren – befanden sich irgendwo tief in der Erde vergraben und würden dort bleiben, bis der Rost der Ewigkeit sie zerfressen hätte.
    Wells lächelte glücklich und versuchte, die Gedanken an die Raumschiffe zu verscheuchen, indem er sich ganz dem überbordenden Spektakel hingab, das aus allen Richtungen auf ihn eindrang, sodass er gar nicht wusste, wohin er schauen sollte, denn überall gab es Schwertschlucker, Feuerspucker, Jongleure, menschliche Pyramiden auf dreirädrigen Karren, tanzende Hunde, lachende Clowns, die Purzelbäume schlugen und sich mit Torten bewarfen, und einen Zauberer, der bunte Tücher und weiße Tauben aus seinem Zylinder zog. Und dann, als kein Mensch mehr Angst haben konnte, kam der Marsmensch aus dem Innern des Raumschiffs hervor. Sein Erscheinen sorgte für einen Höhepunkt an Heiterkeit, denn er war nichts anderes als eine groteske Gliederpuppe, die sogleich mit lustiger Ungelenkigkeit zu den Klängen der Musik zu tanzen begann. Zur Überraschung aller hielt sie ein großes Schild zwischen ihren künstlichen Tentakeln, auf dem in geschnörkelten roten Buchstaben geschrieben stand: WOLLEN SIE MEINE FRAU WERDEN, EMMA ? Lachend
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