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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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Dame würde sich hoffnungslos in Murray verlieben, daran konnte Wells nicht den geringsten Zweifel haben. Immerhin hatte er gesehen, wie sie sich wie ein Schutz suchendes Vögelchen in die Arme des Unternehmers flüchtete, mit einer Liebe im Blick, von der Wells bis dahin geglaubt hatte, dass sie nur in der Gedankenwelt romantischer Schriftsteller existierte und der von jungen Damen, die sie lasen. Aber diese Liebe gab es. Und die Bestimmung dieser Liebe war es, in allen Welten aufzublühen, auch wenn deren Zahl kein Ende hatte. So musste es sein. Wells konnte unmöglich glauben, dass es irgendwo eine Wirklichkeit gab, in der sich ein so wunderbares, so großartiges und unausweichliches Gefühl zwischen den beiden nicht entwickelt haben könnte.
    Mit zwei Fingern an die Hutkrempe tippend, verabschiedete sich Wells von den Liebenden. Dann schritt er durch die Menge davon, dem Ausgang entgegen, wo die Kutschen standen und er hoffentlich eine fand, die ihn zurück nach Weybridge brachte. Was er sehen wollte, hatte er gesehen. Zufrieden lächelnd bahnte er sich einen Weg durch die Neugierigen, die nach wie vor von der Musik und dem Raumschiff angelockt wurden, freute sich über das Ende, das die Geschichte zumindest in dieser Welt genommen hatte, in der er seine müden Knochen endlich zu Hause auf einem gemütlichen Sofa ablegen konnte und sich um nichts weiter mehr kümmern musste. Und er musste zugeben, dass dies eine der besten Welten war, die er kennengelernt hatte. Er hoffte nur, sie bis ans Ende seiner gewiss nicht mehr allzu zahlreichen Tage in der erzwungenen Einsamkeit genießen zu können, mit der letzten Szene auf der Wiese von Horsell in seinem Herzen, ohne dass seine unselige Gabe ihn noch ein weiteres Mal auf die Reise zwang und ihm den letzten Abschnitt seines Lebens ruinierte. Aber alles war möglich, dachte er mit gleichmütiger Skepsis; denn wie hatte der Gesandte in den Kloaken von London zu ihm gesagt: Die Dinge geschahen durch ihn. Hatte das alles irgendwie mit seinem Beruf als Schriftsteller zu tun? War ein Schriftsteller in der Wirklichkeit, in die er hineingeboren war, so etwas wie ein Medium, das die geheime Wahrheit der Welt weitergab? Nicht nur das, was niemand sah, sondern auch das, was noch gar nicht passiert war? Ein Wesen, dessen Unterbewusstsein mit dem Universum verbunden war, mit allem, was es darin gab, und daher imstande, gleichsam hinter den Vorhang zu blicken? Individuen, die in der Einsamkeit ihrer Schreibzimmer die Welt beschrieben; denn nichts war, nichts existierte, bis das Wort diesem Nichts einen Namen gab. Ob es in all den möglichen Welten wirklich eine gab, in der die Romane Jules Vernes Realität wurden? Wahrscheinlich; wenngleich Wells glücklicherweise keine dieser nach den Vorgaben des kindischen Franzmanns gestalteten Wirklichkeiten bewohnte. Aus demselben Grunde tröstete es ihn jedoch, dass es andere Welten gab, in denen Schriftsteller ganz normale Menschen waren, die ein ganz normales Leben führten. Und eine Welt zumindest, wenn nicht sogar viele, in der es nie einen Gesandten gegeben hatte und keine Außerirdischen, die unerkannt unter den Menschen lebten. Eine Welt wenigstens, in der der Mensch zwar außerirdisches Leben vermutete, aber keinen anderen Beweis dafür hatte als lediglich hier und da einen Bericht in den Sensationsblättern, denen niemand wirklich Glauben schenkte. Eine Welt, in der Invasionen außerirdischer Mächte nur in Romanen stattfanden, ausgedacht von Schriftstellern, die den Sternenhimmel betrachteten, der geheimnisvoll genug war, sie zu inspirieren.
    Wells blieb kurz stehen, um seine alten Beine auszuruhen, und träumte dabei weiter von dieser angenehmen und so überaus wohltuenden Welt, in der es keine ominösen Zentripetalkräfte gab, die ihn unweigerlich in den Strudel von Ereignissen zogen, die er selbst sich ausgedacht hatte. Vielleicht gab es sogar ganz viele solcher Welten, bewohnt von Doppelgängern von ihm, die ihr beschauliches, von allen kosmischen Verantwortlichkeiten befreites Leben genossen. Für sie freute er sich, beneidete sie sogar ein bisschen, doch zugleich betrübte ihn der Gedanke an all die anderen Wells, die in den Paralleluniversen seiner ursprünglichen Welt lebten und daher unter derselben Krankheit litten wie er, denselben Fluch mit sich schleppten. Wie viele mochte es in diesem Augenblick geben, die wie er aus ihrer Wirklichkeit vertrieben, Fremde in anderen Welten waren, fliegende Holländer, die nie mehr den
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