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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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und begeistert in die Hände klatschend schauten sich alle um und versuchten herauszufinden, wer diese Emma war; die Frau, für die ein geheimnisvoller Verehrer diesen ganzen Wirbel veranstaltet hatte. Doch nur Wells blickte auf die junge Dame, die etwas abseits stand, ihr Schirmchen drehte und ein ganz und gar ungläubiges Gesicht machte.
    Und dann setzte mit einem Mal ein Trommelwirbel ein, sodass die Leute erwartungsvoll auf das halb aus der Erde ragende Raumschiff schauten, zum Wäldchen hinüber, und sich einigermaßen verwirrt sogar gegenseitig anstarrten auf der Suche nach dem, was der immer lauter werdende Trommelwirbel anzukündigen schien. Doch keiner schaute in die richtige Richtung, denn plötzlich zog ein riesiger Schatten über die Wiese, als hätte sich eine dicke Wolke vor die Sonne geschoben, und tauchte alles in verfrühtes Dämmerlicht. Jetzt erst sahen die Leute nach oben, auch Wells, und sahen in ergriffenem Staunen einen riesigen Freiluftballon über ihren Köpfen schweben. Er war noch zu hoch, als dass man hätte erkennen können, wer sich in dem Weidenkorb befand, von dem man nur die Unterseite sehen konnte, und darüber den prallen Ballon in leuchtendem Grün, Gelb und Türkis, auf dem ein großes goldenes «G» prangte, dessen Ränder mit glitzernden Steinen besetzt waren. Dann begann der Ballon unter dem Jubel der Menge herabzusinken. Als er nur noch ein Dutzend Schritte über dem Boden schwebte, fiel eine Handvoll bunter Stricke aus dem Korb, an denen sich als livrierte Lakaien verkleidete Akrobaten abseilten und unterwegs die unglaublichsten Kunststücke vollführten. Unten angekommen, machten sie alles zur Landung bereit, neugierig umstakt von einem halben Dutzend Stelzenmännern, die wer weiß woher gekommen waren.
    Nach und nach konnten die Neugierigen den einzigen Fluggast im Korb erkennen, der die Versammelten mit breitem Lächeln begrüßte, als Korb und Ballon mit der Schwerfälligkeit eines niederknienden Elefanten aufsetzten und er mit Hilfe der Akrobatenlakaien herauskletterte. Es war ein Mann von beeindruckender Größe und so schlank, wie Wells ihn nie gesehen hatte. Er musste zugeben, dass ihn – viele Kilo leichter und mit dem sorgsam gestutzen Vollbart im Gesicht – kein Mensch als den Herrn der Zeit erkennen würde, der zwei Jahre zuvor auf so tragische Weise in der vierten Dimension ums Leben gekommen war. Um den phantastischen Auftritt abzurunden, hatte er sich einen glänzenden lilafarbenen Anzug angezogen und trug dazu eine gelbe Fliege, die sich, von einem versteckten Mechanismus bewegt, wie ein Propeller unablässig drehte. Auf dem Kopf trug er einen blauen Hut, hoch wie ein Schornstein, aus dem unmögliche orangefarbene Rauchwölkchen in den Himmel stiegen. Der Trommelwirbel schwoll an, dann wurde es still. Der Fremde schien in der Menge der Neugierigen jemanden zu suchen. Als er sie entdeckte, zog er seinen Hut und verneigte sich zu einem übertriebenen Bückling. Die Menschen begriffen und traten zur Seite, und so öffnete sich ein Gang, der bei dem Fremden begann und bei einer ebenso überraschten wie wunderschönen jungen Dame endete, die ihren Verehrer anschaute und nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Murray stand lächelnd da und wartete; seine Fliege propellerte, sein Hut qualmte. Beklemmende Sekunden verstrichen, in denen alle auf eine Reaktion der jungen Dame warteten, bis Wells schließlich sah, wie sich ein Lächeln auf ihre Lippen stahl; ein Lächeln, das sie anfangs noch zu unterdrücken suchte, welches sich jedoch rasch in die Breite zog und ihr ganzes Gesicht erstrahlen ließ. Und dann vernahmen die Anwesenden das herrlichste, perlendste Mädchenlachen, das sie je gehört hatten. So wollte es der romantische Wells jedenfalls glauben, denn hören konnte er es in dem Tumult nicht; aber er erinnerte sich genau, wie es auf der Farm in Addlestone geklungen hatte. Und während die Musikkapelle die Reaktion des Mädchens mit einem schmetternden Tusch feierte, schritt Emma glücklich lächelnd auf den Mann zu, der an dem riesigen Ballon auf sie wartete, den größten, extravagantesten und verliebtesten Mann, den sie je gesehen hatte.
    Je näher sie ihm kam, desto begeisterter jubelte die Menge und schloss hinter ihr auf, applaudierte und ließ das Paar hochleben, bis Wells die beiden nicht mehr sehen konnte. Das brauchte er auch nicht, denn er wusste ja, wie die Geschichte endete, wusste es noch besser als die beiden selbst: Die junge amerikanische
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