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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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beginnen. Man kann ins Beginnen verliebt sein. Das Beginnen ist ein spannendes Abenteuer, wenn man mit der Angst vor dem Neuen einen guten Umgang finden kann. Etwas beginnen war und ist für mich in meinen sämtlichen Lebensbereichen existentiell wichtig, sei es in Beziehungen, in der Arbeit, im familiären Bereich oder in der Küche. Jemand kennenzulernen, etwas zu entdecken, ein neues Projekt zu beginnen oder ein neues Rezept auszuprobieren: alles ist interessant und äußerst verlockend. Ich lebte in jüngeren Jahren fast ausschließlich nach vorne. Das Leben lag vor mir, ich hatte es bloß zu packen. Wenn ich etwas Neues begann, eine neue Liebesbeziehung, eine neue Arbeit, dann hatte ich in der Regel das Bisherige zu beenden. Ein Beenden war vor allem in Beziehungen oft schmerzhaft und herausfordernd, erforderte Geduld für den Heilungsprozess. Oft war es überstrahlt vom Glanz des Beginnens. Dort lag die Aufmerksamkeit.
    »Beenden« wurde für mich mit zunehmendem Älterwerden ein bewusstes Thema. Natürlich war es immer schon präsent gewesen. Ich erlebte Todesfälle, die mir sehr zu schaffen machten, Verluste und Abschiede, die ich lange nicht verwinden konnte. Beenden war dazu da, um dem Gewesenen seinen Wert zu geben, um anzuerkennen, was Teil meines Lebens und jetzt unwiderruflich zu Ende war. Beenden wurde wichtig, um etwas Neues zu beginnen und zu entwickeln. Immer wieder. Auch jetzt noch. Beginnen und beenden sind ebenbürtige Themen. Das dachte ich jedenfalls.
    Doch dann ergaben sich beim Schreiben dieses Buches schwer erklärliche Störungen. Die Thematik war mir auf einmal viel zu komplex – und vor allem viel zu negativ. Beendet man denn etwas, was positiv erlebt wird? Wo blieb dabei das Beginnen, das mich mehr faszinierte als das Beenden? Beenden war für mich unabdingbar mit Trauer verbunden. Ich fing an zu recherchieren, stellte Themen zusammen, machte Notizen. Es wollte mir schließlich gar nichts mehr einfallen. Zum Beginnen hätte ich leicht und gern schreiben mögen. War Beenden wirklich mein neues Thema? In den letzten Jahren hatte ich mich mit Versöhnung beschäftigt und mit der Fähigkeit und Notwendigkeit, sich selbst zu lieben. Es wurde mir bewusst, dass es nötig ist, etwas zu Ende zu bringen, um sich versöhnen zu können. Und man kann sich sich selbst erst dann in Liebe zuwenden, wenn die Selbstvorwürfe, die Schuldgefühle, die Ängste und Nöte immer wieder neu beendet werden können. Zum Thema »Beenden« gibt es Synonyme, die den Bedeutungskreis erweitern:

    Abschließen: den Kreis schließen, zu einem Abschluss bringen.
    Fertigstellen: ein Abschließen, bis zum Ende führen. Auf Schweizerdeutsch sagen wir: »fertiglustig«, ja, vielleicht ist es lustig oder komisch, wenn etwas fertig ist. Oder aber es ist zu Ende mit dem »lustig sein«, wenn es »fertig« ist.
    Vollbringen: voll machen, ›voll bringen‹. Voll und bringen deuten auf eine Fülle hin.
    Vollenden: Im Vollenden ist wie beim Vollbringen ›voll‹, ›erfüllt sein‹ enthalten. Ebenso, das Ende zu einem vollen, erfüllten Ende zu bringen.
    Loslassen: Loslassen ist heute eines der meist gebrauchten Wörter im Bereich des Beendens. Loslassen: Personen, Gefühle, vor allem Wut und Hass. In der Trauer loslassen. Nicht halten, nicht klammern. Loslassen ist eine Phase im Prozess des Beendens. Das Beenden ist umfassender und bewusster, enthält aber das Loslassen als Komponente.
    Trennung: sich trennen ist auch ein Beenden. Es kann ein Bruch sein oder eine Vereinbarung. Die Betonung liegt auf dem Resultat, nicht auf dem Prozess.
    Aufhören, »ufhöre« (Schweizerdeutsch): Aufhören. Beenden. Vielleicht auch hören auf etwas, das vor dem Beenden unerhört, nicht erhört blieb – das könnte eine Interpretation des Aufhörens sein.
    Abbrechen: Ein Abbruch ist eine unvollständige Form von Beenden, jemand steigt aus, bricht ab, will oder kann nicht aktiv beenden, schleicht weg, flüchtet.
    Abschied nehmen: Abschied nehmen ist ein langsamer, bewusster Prozess, ähnlich wie das Beenden.

    Diese Synonyme sind wichtig, um den Bedeutungshorizont des Beendens zu verstehen. Das »Vollbringen« und »Vollenden« scheint mir auf ein Kunstwerk hinzudeuten, auf etwas, das zum Gelingen führt. Es ist eine Bedeutung, die in der Kunst des Beendens enthalten ist.
    Beenden: In den letzten acht Monaten sind fünf nahe Freundinnen von mir an Krebs gestorben. Ich war auf den Beerdigungen, nahm Abschied, trauere immer noch, erinnere mich,
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