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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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halten viel aus, wenn sie sich in lieb gewordenen und Sicherheit spendenden Gewohnheiten eingerichtethaben. Es mag ihnen so vertraut und gewohnt erscheinen, dass sie gewissen Aufbruchsphantasien und Sehnsüchten gar keinen Raum geben. Sie haben sich eingerichtet und scheinen sich sicher zu sein, dass sie nichts anderes wollen. Doch dieses »andere« kann unerwartet und unerwünscht die Macht des Gewohnten brechen. Und auch dann noch hält man daran fest. Es ist ja nicht so, dass Gewohnheiten einfach schlecht oder einengend wären.
    Eva spricht im erwähnten Beispiel vom Vertrauten und Bewährten, mit dem sie gut lebte. Sie konnte sich entfalten und entwickeln, konnte halten und genießen. Trotzdem ist etwas in ihr Leben eingebrochen, das die Macht alles bisher Erarbeiteten ausschaltete. Sie wollte das Alte halten und bewahren, aber es gelang ihr nicht mehr.
    Wenn Gewohnheiten einengend und einschränkend erlebt werden und wenn Sehnsüchte und Ausbruchsphantasien einen Menschen umtreiben, ist es zum einen oft eine Frage der Zeit, bis ein Mensch wagt, das Verharren im Gewohnten zu beenden, den Kreis zu schließen, um einen neuen Kreis beginnen zu können. Zum anderen ist es eine Frage des Mutes und der Ehrlichkeit sich selbst und dem/den anderen gegenüber, dazu zu stehen, dass die Gewohnheit keinen Sinn mehr macht – aber Macht hat. Die Macht der Gewohnheit ist nicht zu unterschätzen. Sei es, dass sie einen Menschen in einer Beziehung, in einer Arbeit, in einer Wohnung verharren lässt, obwohl das Leiden im Verharren immer größer wird, sei es, dass ein Mensch Hals über Kopf mit der Gewohnheit bricht und nie mehr zurückschauen will. Beides, das Verharren und das überstürzte Aufbrechen, sind Zeichen dafür, dass ein Mensch etwas nicht beenden kann. Ich denke, dass es oft eher ein Nicht-Können als ein Nicht-Wollen ist.
Der Zauber des Anfangs
    Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.
    Hermann Hesse

    Aller Anfang ist schwer, sagt der Volksmund. Ein Trost, wenn man sich vielleicht in der Komplexität einer neuen Aufgabe zu verlieren droht und verzweifeln will. Wenn man fast aufgeben will, weil es einen zu überfordern droht.
    Gleichzeitig spricht der Volksmund vom Zauber des Anfangs. Ein Widerspruch? Man ist verliebt und verzaubert, man spürt die Anziehungskraft eines Menschen. Man ist ins Beginnen einer neuen Beziehung verliebt. Der Zauber ist trügerisch, weil er den Blick verschleiert und das Bewusstsein trübt. Weil er einen Dinge übersehen lässt, die man eigentlich sehen müsste und die man erst dann realisiert, wenn der Zauber verflogen ist.
    Es gibt eben beides: den zauberhaften, verliebten und den pragmatischen, nüchternen Anfang.
    In der Psychoanalyse und Psychotherapie gilt die Erfahrung, dass in einer ersten Sitzung bereits alles enthalten ist: wie ein Mensch geprägt wurde, wie er mit Problemen umgeht, was ihn beflügelt und was ihm Angst macht. Es ist jedoch kaum möglich, das alles bereits am Anfang zu erkennen. Eine erste Begegnung ist immer hochkomplex und überfrachtet mit Zeichen, die man noch nicht einordnen kann. Nötig ist die langsame, behutsame und vielleicht jahrelange Entfaltung der Beziehung, um den vielschichtigen Anfang zu verstehen. Die Lebensthemen werden in einer ersten Sitzung gestreift, um viel später erkannt und bearbeitet zu werden. »Misstraue dem ersten Eindruck, denn er ist meistens richtig«, sagte einmal Fritz Morgenthaler, ein Zürcher Psychoanalytiker.
    Otto erzählt von seiner langjährigen Liebesbeziehung mit einer verheirateten, kinderlosen Frau, Rita:
    »Als ich Rita erstmals erblickte, wünschte ich mir, dass sie meine Frau würde. Da erfuhr ich, dass sie verheiratet war. Balddarauf begannen wir eine innige Liebesbeziehung. Ich wünschte mir seit dem Beginn unserer Liebe, dass Rita zu meiner Lebenspartnerin werde und sich ganz und gar für mich entscheide. Sie machte mir immer wieder Hoffnungen. Wir führten unzählige Gespräche über uns und unsere Lebens- und Liebesvorstellungen. Ich hatte noch ein Leben vor mir und wünschte mir eine Familie. Rita auch. Sie wohnte mit ihrem Mann in einem selbstgebauten Haus, das sie pflegte und liebte. Sie half ihm neben ihrer politischen Tätigkeit bei seinen beruflichen Pflichten. Kinder hatten sich bis dahin nicht eingestellt.
    Doch da gab es mich und uns, und wir waren einander vom ersten Moment an verfallen. Ich erinnere mich gut an die Gespräche, in denen mir Rita von ihrer Kindheit erzählte. Es war ein ganz schwieriges
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