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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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auch den Phantasien um den Partner und gegebenenfalls um die Familie. Was drängt sich in den Vordergrund? Wie war es zu Beginn, und wie ist es jetzt? Was waren und sind die Wünsche, die Träume, die Verzweiflungen, die Ängste? Was denke ich am Tag, was träume ich in der Nacht?
    So wird es langsam möglich, die eigenen Phantasien bewusst wahrzunehmen. Das bin ich, das macht mich aus. Habe ich beim geliebten Menschen gesucht, was ich mir nicht selbst geben konnte? Das Erkennen der je eigenen und gemeinsamen Phantasiewelt bzw. ihr Verlust machen das Entlieben wahrnehmbar und verständlich. Dann kann auch der Trauerprozess möglich werden.
    Es gibt Paare, die sich nicht oder einseitig verlieben. Es gibt praktische Gründe, sich mit jemand zusammenzutun. Es gibt die Torschlusspanik, die zwei Menschen zueinanderfinden lässt. Und es gibt starke Anziehungen, die sich dem Begriff der Verliebtheit entziehen wollen. Immer kann es ein Entlieben geben, ein Aus-der-Liebe-Fallen, eine Ernüchterung, eine Abstoßung. Sie wollen verstanden werden, damit Trauer möglich wird.
Ehren und ernten
    Wenn du Abschied nehmen musst, dann frage dein Herz, wovon es berührt wurde, und danke für diese Berührung.
    Safi Nidiaye

    Ehrendenkmäler, Ehrentafeln, Ehrenparaden, Ehrenkränze – der Begriff der Ehre hat heute einen altmodischen Klang. Er lässt an einen Krieg denken und an die Ehre des Siegers. Gibt es auch eine Ehre des Verlierers? Werden die alltäglichen Kämpferinnen und Kämpfer des ganz gewöhnlichen Lebens geehrt? Wird ihnen überhaupt für ihre Dienste gedankt und von wem? Woran denken wir, wenn wir das Wort »Ernte« hören? Vielleicht sehen wir einen voll beladenen Heuwagen in die Scheune einfahren? Oder ein Bauernmädchen zeigt uns stolz seinen Korb, der voll mit Äpfeln oder Pflaumen oder Kirschen ist? Bei solchen Bildern scheint die Welt in Ordnung zu sein.
    Ehren und ernten sind sinnliche Begriffe, die auf etwas Handfestes schließen lassen. Es geschieht etwas, wir sehen und hören und riechen und fühlen und schmecken. Da ist etwas in einer Ordnung, in Ordnung, geordnet. Wer sät, der erntet. Im besten Fall.
    Heutzutage scheint der Sinn für Ehre und Ernte nicht mehr ausgeprägt. Es fehlt vielfach der Sinn dafür, etwas zu würdigen, was geschehen ist, im Guten wie im weniger Guten. Natürlich, die Stars in Politik, Sport, Film, Theater und Musik werden gewürdigt, wenn sie eine große Leistung erbringen. So sehr sie auch wissen, dass sie am Tag darauf zerstört und beschimpft werden können, wenn ihnen etwas misslungen ist.
    Reden wir vom ganz und gar gewöhnlichen Leben. Zum Beispiel von einer Ehe, bei der sich beide Partner innerlich und äußerlich voneinander entfremdet haben. Doch sie können sich beide nicht vorstellen, sich voneinander zu trennen.
    Sie: »Jedes Mal, wenn ich im Keller etwas holen gehe, sehe ich mich um, sehe unsere Schätze, unsere Gemeinsamkeiten, und dann denke ich, dass ich eines Tages alles das aufräumen muss, weil ich ausziehen will. Der Keller ist für mich zum Symbol unseres ›Eingemachten‹ geworden, es sind nicht nur die vollen Einmachgläser, die Marmeladengläser, der Wein. Es ist das ›Eingemachte‹ unseres gemeinsamen Lebens, das mich dann rührt und bewegt. Es ist so viel. Und ich denke dann, dass wir das alles zu wenig würdigen, zu wenig ehren, uns viel zu wenig unserer Ernte bewusst sind. Vielleicht müssten wir einmal ein Erntedankfest feiern, um uns dessen bewusst zu werden.«
    Und er, von ihr auf diesen Keller und das, was sie dort empfindet, angesprochen: »Ja, ja, unser Keller. Was du dir immer so viele Gedanken machst. Jedes Haus hat seinen Keller. Das unsrige auch. Ehren? Ernten? Ich verstehe nicht recht, was du damit sagen willst. Wir haben uns aneinander gewöhnt, wir leben zusammen und ich kann mir nichts anderes vorstellen. Du bist meine Frau und ich bin dein Mann.«
    Sie versuchte unzählige Male, mit ihm über diesen Keller zu reden. Es war nicht möglich. Es genügte ihr schon langenicht mehr, einfach seine Frau zu sein. Sie fühlte sich eingeschlossen in eine Beziehung, die ihr zu wenig Luft zum Atmen gab. Sie musste sich trennen: von ihrem Mann und damit auch von diesem Haus.
    Und dann spürte sie, dass es ihr ganz eigenes Anliegen war, diesen Keller zu ehren und das »Eingemachte« zu würdigen. Sie entschloss sich, die Ernte der gemeinsamen Jahre allein einzufahren. Sie nahm Abschied von allem, von ihrem Mann, von Haus und Keller. Und sie räumte
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