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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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diesen Keller und das Haus mit unerwarteter und unverhoffter Freude auf. Sie spürte bald, was zum Haus gehörte und was sie da lassen wollte; was sie entsorgte, aus ihrer Sorge entließ und verschenkte oder wegwarf. Und es waren wenige Dinge, die sie mitzunehmen beschloss. Sie fühlte sich innerlich reich und brauchte nicht mehr viele äußere Andenken.
    Sie hatte noch viel vor in ihrem Leben. Sie erlebte ihren Mann als träge und letztlich undankbar. Doch das war nicht mehr ihre Sorge. So konnte sie sich dankbar, wehmütig, aber entschieden zu einem Stück eigenes Leben aufmachen. Sie spürte, dass es das Richtige war.
    Wer ehren und ernten kann, wird sich auch verabschieden können, wenn kein Wachstum mehr möglich ist. Es gibt in jedem Lebensabschnitt etwas zu ehren, etwas zu ernten. Es liegt oft nicht auf der Hand, oder es scheint unter schmerzvollen Erinnerungen verborgen. Es ist eben nicht so, dass alles ebenso gut anders hätte verlaufen können. Jedes einzelne menschliche Leben ist einzigartig und will darin erkannt werden. Was ein Mensch tut oder nicht tut, hat seine eigene Logik. Darüber hinaus teilen Menschen die Endlichkeit des Lebens; sie teilen die Liebe, die immer auch mit Verlust zu tun hat; die Freiheit, die mit Angst verbunden ist, und das Wachsen, das immer auch mit Trennung einhergeht. Die Augenblicke, in denen ein Mensch sich selbst zu ehren vermag, in denen er sich seiner Ernte bewusst wird, bilden einzigartige Momente in einem Leben.
Bewahren und beenden
    Bis heute ist diese Angst geblieben vor den Abschieden … eine Schwelle, ein Bahnsteig, eine Abflughalle, ein letztes Winken vor dem Verschwinden. Ein Nie-wieder-Gefühl.
    Jürgen Becker

    Beenden scheint etwas vom Schwierigsten zu sein, das es gibt. Wir erhalten diesen Eindruck, wenn wir Menschen ihre Geschichte erzählen hören, Menschen leiden sehen, wenn wir aufmerksam unsere Mitwelt betrachten. Beenden bedeutet Abschied, ein Winken vor dem Verschwinden. Ein Nie-wieder-Gefühl. Das macht Angst.
    Es gibt viele Gründe, bewahren zu wollen. Bewahren bedeutet, dass es immer noch eine Hoffnung gibt. Oder zumindest ein Quäntchen von Hoffnung. Noch ist nicht alles verloren. Oder man wartet auf ein Wunder. Das Wunder wird vermutlich nicht kommen. Oder erst dann, wenn sich jemand entscheidet, das Gewesene zu würdigen, anzuerkennen und zu ehren. Es gibt immer eine Ernte einzufahren. Es gibt immer etwas zu würdigen. Zumindest gilt es den Einsatz zu würdigen, den man geleistet hat – bevor der Hagel die ganze Ernte zerstört hat. Der Einsatz bleibt und hat seinen Wert, selbst wenn er nicht zum Ergebnis geführt hat, das sich jemand vorgenommen hat. Wir sind nicht immer »Herr und Frau in unserem Haus«. 7 Es spielen andere Kräfte mit: unbewusste Tendenzen, die Natur mit ihren Kaprizen, die menschliche Natur mit ihren Einschränkungen und Begrenzungen und nicht zuletzt die Gesellschaft, in die wir uns einzufügen haben. Wer zu ehren und ernten weiß, kann besser beenden. Es ist dann nicht nur der Verlust, der schmerzt, sondern es gibt auch die Freude über den Einsatz und bestenfalls die Ernte, die bewusst wird.
    Bewahren- und Beenden-Wollen werden meistens sehr lange zermürbend gegeneinander ausgespielt. Es ist einBangen und Hängen und man weiß nicht, wie es weitergehen soll. Das Fällen einer Entscheidung ist das Wichtige. Wenn sich ein Mensch dafür entscheidet, bei seiner Partnerin, seinem Partner zu bleiben, fühlt sich die Beziehung anders an als vor der Entscheidung. Wenn ein Mensch sich entscheidet, zu bewahren oder zu beenden, ist das Lebensgefühl anders als vor der Entscheidung. Es ist das bewusste Ja-Sagen zu dem, was ist. In der Ambivalenz kann man sich nicht für eine Beziehung engagieren, weil die Lebensenergie für das Hin und Her, durch das ambivalente Abwägen, verbraucht wird.
    Viele Menschen können sich ein notwendiges, aus der Not entstandenes Beenden schwer vorstellen. Vielleicht haben sie es nie gelernt, vielleicht schrecken sie zurück vor dem Danach, vor einer Leere. Oder vor dem Neuen – weil sie nicht wissen, was kommt, und was sie nicht kennen, das fürchten sie. Vielleicht sind sie durch frühere Verluste verletzt. Sie haben wenig Vertrauen in sich selbst und in die Mitmenschen, in das Leben mit seinen Höhen und Tiefen. Sie haben wenig verlässliche Vorstellungen darüber, was es bedeuten könnte, etwas wirklich, mit Überzeugung, zu beenden. Beenden bedeutet in ihrer Vorstellung nur Negatives: Absturz,
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