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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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Einleitung
    In unserer Kultur werden Abschied, Trennung und Beenden oft mit Schmerz, mit Schuld- und Schamgefühlen und mit Trauer assoziiert, also mit Gefühlen, denen man gerne ausweicht. Es geht um das Ende einer Beziehung – zu einem Menschen, zu einer Beschäftigung, zu einer Gewohnheit, zu einem Lebensstil. Auch die eigene Verletzlichkeit und Vergänglichkeit wird damit berührt, selbst der Tod als das endgültige Beenden des irdischen Lebens schwingt mit. Erinnerungen an eigene, nicht selten ganz frühe, kindliche Trennungserfahrungen werden vielleicht geweckt.
    Kann man etwas beenden, das einem guttut? Vielleicht sogar das Herz erfreut, dessen Beendigung aber unumgänglich ist? Kann ein Abschied gut sein? Wann macht Beenden Sinn? Und wenn es Sinn macht – unter welchen Bedingungen? Was spielen erlernte Verbote und Unmöglichkeiten für eine Rolle? Was blockiert das Beenden? Was unterstützt es? Wie gestalten wir den Umgang mit Schmerz und Trauer? Ist das Beenden-Können oder eben Nicht-beenden-Können etwas für ältere Menschen oder ist es etwas, das bereits ein Kind oder einen jungen Menschen beschäftigt? Es sind viele wichtige Fragen, die im folgenden Text beantwortet werden sollen.
    Es gibt ein positiv erlebtes Beenden. Eine Frau erzählt, dass sie ihre Scheidung als ebenso ehrenwert erlebt habe wie damals die Hochzeit, trotz des Schmerzes und der Trauer. Das Beenden einer Psychoanalyse oder Psychotherapie kann zu einem erhebenden Augenblick im Leben werden: Eine Entwicklung ist vollbracht und ein Mensch ist dadurch mehr er selbst geworden. Ein alter, schwerkranker Lehrer meint, dass der Tod ein Leben beende, jedoch nicht eine Beziehung. Er hatte im Jahr seines Todes seine Familie und seine Freunde zu einer »lebendigen Beerdigung« eingeladen. Alle trugen etwas vor, ein Gedicht, ein Lied, ein paar Worte der Dankbarkeit, derAnerkennung für den Todkranken. Alle weinten und lachten, eben beides. Und der Todkranke konnte erleben, wie ihm nahestehende Menschen noch zu Lebzeiten ihre tiefen Gefühle mitteilen und wie sie gemeinsam erleben konnten, wie viel sie einander bedeuten. Auf seiner Beerdigung wäre es dafür zu spät. 1
    Im täglichen Leben will vieles immer wieder beendet werden. Die Nacht bzw. Bettruhe wird beendet, damit der neue Tag beginnen kann. Die Dusche, das Frühstück, die Zeitungslektüre werden beendet, weil der Tag ruft. Und dann kommen die Hunderte von Tätigkeiten, die einen Anfang und ein Ende haben, wo begonnen und beendet wird. Das jeweilige Beenden kann übergangen oder wahrgenommen werden. Die Tatsache, dass alltägliches Beginnen und Beenden meist automatisch und unbewusst vor sich geht, verdeckt, dass es Aktivitäten sind. Erst wenn der Alltag Risse bekommt – durch eine Krankheit, eine Bedrohung etc. – werden die Aktivitäten als solche bewusst.
    Menschen können große Veränderungen im Leben ganz und gar unterschiedlich erleben. Es gibt das eine Extrem, dass das Beginnen und das Beenden sehr bewusst gestaltet wird. Jemand will etwas Neues erst beginnen, wenn das Bisherige abgeschlossen ist. Das andere Extrem verkörpern Menschen, die nicht bewusst etwas beginnen und abschließen. Das eine läuft ins andere über. Die Energien verteilen sich auf verschiedene Bereiche. Wenn eine Beziehung zu Ende geht, ist die andere bereits im Gang. Und viel alltäglicher noch: Die Küche wird erst aufgeräumt, wenn wieder gekocht wird. Zwischen diesen Extremen liegt die ganze Vielfalt menschlicher Gestaltung oder Vermeidung von Beginnen und von Beenden. Dem Beginnen wird im Leben und in der Literatur mehr Beachtung geschenkt als dem Beenden.
    Weshalb Kunst des guten Beendens? Die Kunst setzt Neugier, Phantasie und Kreativität voraus – und sie ist ein Geschenk, eine Gnade. Die Kunst des Beendens widmet sich der Gestaltung der großen Lebensfragen wie Liebe und Tod sowie auch dem Alltäglichen. Es interessiert mich, auf welcheWeise Menschen unterschiedlichster Art und Prägung ihrem Leben eine Gestalt geben, also Leben, Liebe und Tod zu ihrem eigenen, unverwechselbaren Dasein formen. Es geht darum, einer Beziehung, einer Handlung, jedem einzelnen Akt eine Form zu geben, damit sie sich runden und vollenden und ihren eigenen, einzigartigen Wert erhalten können. Um diese Einzigartigkeit geht es. Und um die Vielfalt dieser Gestaltgebungen, die – wie das Wasser der Flüsse ins Meer – schließlich als Lebensfluss in den Tod münden.
    Um etwas beenden zu können, muss man es zuerst
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