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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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Verliebtheit oder in ein Entlieben mündet? Eiguer und Ruffiot haben den Begriff Entlieben kreiert. Entlieben gibt die tiefe psychische Realität auseinanderbrechender Paare wieder, die nochmals das erleben, was sie in der Verliebtheit erlebt haben, nur mit negativen Vorzeichen. Sie erleben dieselben Phänomene wie zu Beginn, indem sie auf das Aussehen, die Art, das Lachen reagieren – und sie machen es auf dieselbe Art wie damals: sie idealisieren, sie verleugnen, sie spalten ab. Doch beim Entlieben leiden sie nun an dem, was sie zuvor verzaubert und bezaubert hat.
    Nina erzählt in der Psychotherapie: »Mein Mann und ich haben uns seit Jahren auseinandergelebt. Wir leben unausgesprochen der Kinder wegen weiter miteinander. Die Familie ist uns beiden wichtig. Wir wohnen in einem schönen Haus und ich liebe den Garten. Aber ich kann mit meinem Partner nicht mehr schlafen. Er hat mich über alle die Jahre zu sehr verletzt, und trotzdem komme ich nicht von ihm los. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Er stößt mich körperlich ab. Ich habe ihm kürzlich gesagt, dass er mehr zu sich schauen und seine Figur und sein Gewicht mehr beachten solle. Das ergab wiederum einen Riesenkrach. Ich kann überhaupt nichts mehr sagen, ohne dass es Streit gibt.«
    Die Therapeutin weist Nina darauf hin, dass es möglicherweise eine übergriffige und einmischende Bemerkung gewesen sei, dem Partner, der sie körperlich nicht mehr anzieht, körperbezogene Empfehlungen abzugeben. Sie fragt Nina, wie es denn gewesen sei, als sie sich in ihren Partner verliebt habe, was sie damals angezogen habe. Nina erinnert sich an die Verliebtheit. Sie war körperlich stark angezogen von diesem stattlichen Mann. Sie konnte sich an seinen Bärenkörper anlehnen, er gab ihr Sicherheit und Ruhe. Das Zusammensein mit ihm war ihr Zuhause, wo sie sich wohl und aufgehoben fühlte. Es war der Bärenkörper, der sie damals angezogen hat – und der sie nun abstößt.
    Mit der Zeit wird Nina klar, dass sie in den früheren Umarmungen des geliebten Mannes ihre eigene Bedürftigkeit umarmen konnte, dank des anderen. Es war das Kind in ihr, das sich nach Zärtlichkeit und Geborgenheit sehnte, das umarmt sein wollte. Es war nicht die erwachsene Frau, die umarmt wurde und umarmte. Nina erinnert sich auch ungern daran, dass ihr Vater auch so einen Bärenkörper gehabt hatte. Sie hatte diesen stattlichen Vater immer geliebt und sich in seiner Nähe geborgen gefühlt. Sie hatte bisher nie einen Zusammenhang gesehen zwischen der Liebe zu ihrem Vater und der Liebe zu ihrem Mann.
    Nina realisierte mehr und mehr, dass sie bisher in ihrem Leben nicht allein sein konnte. Sie gab sich bewusstunabhängig und war doch unbewusst zutiefst abhängig, war immer noch das Kind, das seinen Vater bewunderte und sich mit ihm wohl und sicher fühlte. Sie hatte auch während der Ehe immer wieder Liebhaber gehabt. Doch jetzt, wo sie es mit ihrem Mann kaum mehr aushielt und doch nicht weggehen konnte, hatten auch Liebschaften keinen Reiz mehr. Sie musste sich selbst stellen, sich selbst entdecken und finden. Es gab kein Ausweichen mehr. Sie wollte die Geborgenheit in sich selbst finden, wollte in sich selbst ruhen. Die erlebten und nun bewussten Parallelen ihres Sich-Verliebens und des Entliebens hatten sie auf den Weg zu sich selbst geführt.
    Und nun war der Weg offen zum Halten und Bewahren – oder zum Beenden.
    Das Entlieben ist in der Regel nicht einfach das Fehlen von Liebe, ist nicht Gleichgültigkeit. Es ist ein Leiden, eine Verlorenheit, eine Wehmut, eine Abstoßung. Es ist eine Erregung und ein Heimweh, ein Abschied und eine Trauer. Und es ist immer wieder die Frage, was denn passiert ist, dass es so weit kam. Zum Verstehen dürfte die Phantasieebene hilfreich sein, denn es geht tatsächlich um die Phantasien. Beim Entlieben ist der gemeinsame Phantasieraum verloren gegangen bzw. verstümmelt. Man träumt nicht mehr davon, gemeinsam Berge zu versetzen. Der Horizont ist versperrt. Man entliebt sich auf dieselbe Weise wie man sich verliebt hat: es ist eine Leidenschaft, die Leiden schafft. Der seelische Schmerz ist da: anfangs gemildert vom Zauber des Beginnens, am Schluss in der Regel verstärkt durch Schuld- und Schamgefühle, durch Ängste und die unvermeidliche Trauer. Urteilskraft und Wille sind bei beiden Erlebensweisen vorerst geschwächt, bei der Verliebtheit und beim Entlieben. Es ist sinnvoll, in solchen Situationen den eigenen Gedanken und Phantasien intensiv nachzugehen,
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