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Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade
Autoren: Cathy Lamb
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1 . KAPITEL
    Die meisten Frauen sehen völlig unschuldig aus.
    Einige sind es vielleicht auch. Unschuldig, meine ich.
    Viele jedoch nicht.
    Viele haben Geheimnisse. Sogar ziemlich große, wenn ich das sagen darf.
    Diese Frauen tragen in sich eine ohnmächtige Wut, die sie jahrelang unterdrücken, weil man es von ihnen verlangt. Sie verbergen ihr wahres Ich, weil sie in einer Zwangsjacke stecken und keiner ihrer Verwandten begeistert wäre, wenn sie diese Jacke abstreifen würden. Sie hegen so unschuldige Gedanken wie: Es dauert nicht mehr lange, dann kastriere ich meinen Mann. Dann verlasse ich meine Familie und die vermaledeiten Schwiegereltern, jette nach Tahiti, schlürfe einen Daiquiri und werfe mich dem nächstbesten Rettungsschwimmer an den Hals.
    Frauen lächeln, sind freundlich und nett. Die meisten sind auch wirklich so. Freundlich und nett, meine ich.
    Aber zu glauben, alle Frauen seien völlig unschuldige Wesen, ist total naiv.
    Nehmen wir meinen nicht lange zurückliegenden Nervenzusammenbruch. Der war auch alles andere als unschuldig.
    Wie es der Zufall wollte, ereignete er sich vor achthundertvierunddreißig Werbefachleuten, die sich allesamt einbildeten, unentbehrlich und extrem erfolgreich zu sein.
    Man kann wohl von mir behaupten, dass ich als Kreativdirektorin einer sehr großen Werbeagentur in Chicago einen ganz großen Abgang hinlegte.
    Zwei Monate zuvor war meine Mutter gestorben.
    Dann hatte ich herausgefunden, dass mein langjähriger Lebensgefährte sich nebenbei nicht nur eine Freundin, sondern gleich einen ganzen Harem hielt. Diese Erkenntnis hatte dazu geführt, dass ich mich auf ausgefallene und kreative Weise an ihm rächte, wozu ich unter anderem eine Heißklebepistole verwendete. Die Polizei wurde gerufen, Handschellen klickten zu, ich bekam eine Strafanzeige und würde in ein paar Monaten wegen Verdachts der Körperverletzung vor Gericht erscheinen müssen.
    Darüber hinaus hatte mich mein Ex, Jared Nunley, im Folgenden nur noch Schlappschwanz genannt, bis auf den letzten Cent verklagt. Dabei hatte er nicht mal bleibende körperliche Schäden davongetragen.
    Trotzdem war nun ich, eine ehemalige Solistin des Kirchenchors, die drei Jahre nacheinander bei den Pfadfindern die meisten Plätzchen verkaufte, wegen Körperverletzung angeklagt.
    Eine Woche lang hatte ich diese spezielle Präsentation vor meinen Kollegen aus der Werbebranche Tag und Nacht vorbereitet, wobei Jessica, meine krankhaft ehrgeizige dreiundzwanzigjährige Praktikantin, mir mit ihrem zuckersüßen Lächeln immer wieder zu verstehen gegeben hatte, dass sie mich für eine alte Schachtel halte, die nicht mehr am Puls der Zeit sei. Genau in dem Moment, als ich oben auf dem Podium vor dem Mikrophon stand, spürte ich, wie sich ein Riss in meinem Körper auftat.
    Es begann harmlos, im kleinen Zeh des linken Fußes. Doch schnell schoss der Riss an meinem Knöchel empor. Er erinnerte mich: »Deine Mutter ist an Krebs gestorben. Du bist allein.« Er zog meinen Oberschenkel hinauf. »Du hast gar nichts«, verspottete er mich. »Dein nettes kleines Stadthaus zählt nicht. Genauso wenig wie dein Sportwagen. Oder all deine Kurztrips. Von deiner albernen Schuhsammlung ganz zu schweigen.« Der Riss fuhr mir zwischen die Beine und verzweigte sich im Zentrum meiner Weiblichkeit.
    »Seit fast zwölf Jahren arbeitest du ununterbrochen, gönnst dir kaum eine Pause. Du bist durch die ganze Welt gereist, um mäkelige, pingelige Kunden zufriedenzustellen, die erst glücklich sind, wenn man ihnen die Sonne auf einem Silbertablett serviert. Du hast mit Kreativen gearbeitet, mit verrückten, hippen Leuten von Mitte zwanzig, die zur ›Inspiration‹ unbedingt mit deinem Motorrad durch die Firma fahren müssen, keine Schuhe tragen, Bier zum Frühstück trinken und sich nicht waschen.
    Jared hat dich betrogen«, flüsterte der Riss. »Du hast mit ihm geschlafen, und zwar nur mit ihm, zwei Jahre lang. Wer weiß, mit wie vielen Frauen er in dieser Zeit gebumst hat. Du hast sämtliche Lebensmittel bezahlt, auch das eklige Sushi, das er so gerne mochte. Du bist für das Katzenfutter seiner räudigen Riesenratte aufgekommen, für seine verschiedenen elektronischen Spielzeuge und seinen Nasenhaarrasierer. Dafür hat er sich mit der Stereoanlage, deinem Mountainbike und tausendneunhundert Dollar in bar aus dem Staub gemacht. Du hast ihm jeden einzelnen Orgasmus vorgespielt. Du willst dein Mountainbike zurück.«
    Der Riss steuerte auf mein Herz zu. »Und
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