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Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade
Autoren: Cathy Lamb
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dir fehlen Johnny und Ally.« Der Riss zerfaserte sich in eine Million Äderchen, die in meinem Körper brannten, bis ich nur noch eine große pochende Wunde war.
    Dann erreichte der Riss meinen Mund. »Es muss Schluss sein mit deinem Alkoholproblem, das zwei Wochen nach jener Nacht begann. Es ist außer Kontrolle. Du bist außer Kontrolle. Das wird noch dein Ende sein.«
    Dann kamen die Tränen. Dort oben auf dem Podium vor achthundertvierunddreißig hohlen Schnöseln. Gleichzeitig spürte ich einen Lachkrampf in mir aufwallen, der ungehemmt aus mir herausplatzte – lautes, übermütiges Gelächter, warum auch immer.
    Jeder, der so schlau ist wie ich – nicht dass ich mein Leben lang schlau gewesen wäre, aber ich bin schon relativ clever –, hätte schleunigst das Weite gesucht. Ich jedoch nicht.
    Ich stand da, lachte und weinte, und mein Körper zitterte vor Schmerz.
    Die Schnösel saßen mit offenem Mund da und staunten.
    Ich beschloss, eine Rede zu halten.
    Eine etwas andere Rede, nicht besonders lang, aber dafür würde sie es in sich haben.
    Ich sagte meine Meinung. Alles, was ich in den vergangenen Jahren über die Werbebranche gelernt hatte, kam über meine perfekt geschminkten Lippen, und ich stand da in meinem topmodischen blauen Kostüm und den blauen Stöckelschuhen mit kleinen Goldkettchen, stand da mit meinem viel zu dünnen Körper und dem funkelnden Schmuck, den mir Jared großzügig »geschenkt« hatte, wobei letztendlich ich die Rechnungen seiner Kreditkarten beglich – und das, obwohl er ein Treuhandvermögen von seinem Vater besaß.
    Ich sprach davon, in welch oberflächlicher Branche wir arbeiteten, und verkündete: »Unser Beruf ist völlig albern! Wir verbringen unsere Tage, unser Leben damit, Verpackungen zu entwerfen und den Menschen in Amerika zu verkaufen, die unsere Produkte eigentlich gar nicht wollen oder brauchen. Jede Minute unserer Existenz wird von Lug und Trug bestimmt! Von Schwachsinn! Wenn wir morgen sterben würden, stünden wir vor Gott und müssten sagen, wir hätten nichts dagegen getan, dass unser Leben von diesem Schwachsinn bestimmt wird. Was er wohl davon halten würde?«
    Ich erzählte von einer Kartoffelchipskampagne, an der acht Personen monatelang fast rund um die Uhr gearbeitet hatten. »Kartoffelchips! Als ob die Amerikaner nicht schon längst viel zu dick wären!«, rief ich. »Viel zu fett!«
    Ich erzählte von den endlosen Diskussionen in den Fluren der Agentur, wie ein neues Auto zu bewerben sei, dessen Erwerb einen Durchschnittsverdiener für viele Jahre in hohe Schulden stürzen würde. »Und was ist mit den Unterwäsche-Anzeigen, in denen grazile Frauen mit gewaltigen Monsterbrüsten auf hohen Absätzen herumstöckeln? Glauben wir wirklich, dass die meisten Frauen solche Dessous tragen können, ohne total lächerlich auszusehen? Wer findet Oberschenkel mit Orangenhaut sexy? Wer glaubt tatsächlich, Hängetitten sähen in rotem Satin besser aus?
    Und mal ehrlich«, brüllte ich, »wer außer euch oberflächlichen Schnöseln hier ist derart besessen von seinem Aussehen? Ja, ich rede von euch! Ihr arroganten Lackaffen!«
    Ich war noch lange nicht fertig: »Haben wir während unserer kurzen Zeit auf diesem Planeten nichts Besseres zu tun, als uns über unser Aussehen den Kopf zu zerbrechen? Kein Wunder, dass es uns allen so schlechtgeht.«
    Ich erzählte von der absoluten Selbstbezogenheit, die ich unter den Werbern angetroffen hatte. »Wir tun nichts anderes, als über uns selbst, über die nächste Kampagne, den nächsten Erfolg, die nächste Beförderung nachzudenken. Wir sind die langweiligsten Menschen auf diesem Planeten!« Mit der Faust schlug ich aufs Podium und gackerte wie eine alte Hexe. »Das ist noch nicht mal das Schlimmste! Wir sind nämlich keine guten Menschen. Ganz und gar nicht! Unser Beruf bedeutet niemandem etwas. Wir machen das Leben der Menschen schlechter, nicht besser. Wir reden ihnen in Zeitschriften oder im Fernsehen ein, sie seien wertlos, wenn sie nicht dies oder das kauften, sie seien nicht auf der Höhe der Zeit, uncool, hässlich, arm und erbärmliche Versager. Und wisst ihr was? Das ist alles nichts als Schwachsinn!«
    Ich nehme an, wenn man hysterisch ist, wird einem das Leben schmerzhaft bewusst. So wie der Tod. Der Tod ist ein großer Gleichmacher. Er bringt das Leben auf den Punkt. Ich wollte über diesen Punkt sprechen. »Wenn ich sterbe, worauf kann ich dann stolz sein? Dass ich eine Werbekampagne entworfen habe, die
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