Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade
Autoren: Cathy Lamb
Vom Netzwerk:
machen und den alten knirschenden, röhrenden Bronco direkt an die Westküste steuern und für immer im Ozean versenken.

2 . KAPITEL
    Obwohl die Trauer um meine Mutter mich an den ersten sechs Tagen meiner Reise umgab wie flatternde schwarze Krähen, spürte ich am siebten Tag, wie deren Flügel mich zum ersten Mal seit ihrem Tod emportrugen. Ich sprach mit ihr im Auto, so als säße sie neben mir. Wir führten anregende Unterhaltungen und lachten viel. Sie freute sich über meine Rede vor den Werbefuzzis und gestand, dass sie meine Rache an Schlappschwanz für gerechtfertigt hielt.
    In der Kleinstadt Weltana machte ich Pause, weil mir die Bäume gefielen und es regnete.
    Ich mochte Regen.
    Abseits des Highways, vor einem kleinen gelben Gebäude mit grünen Zierleisten, brachte ich meinen grollenden Bronco zum Stehen. Der Laden nannte sich »The Opera Man’s Café«. Die Innenwände bestanden aus Baumstämmen. Im gemauerten Kamin brannte ein Feuer, und ein Koch mit weißem Zopf warf Pfannkuchen einen halben Meter hoch in die Luft und sang dazu aus vollem Hals ein Lied von Andrea Bocelli. Über langen Holztischen funkelten kleine weiße Lämpchen im offenen Gebälk.
    Als meine Pfannkuchen serviert wurden, ertränkte ich sie in Ahornsirup und Butter. So mag ich sie am liebsten, hatte mir aber seit zwölf Jahren nicht mehr gestattet, sie zu essen.
    In diesen zwölf Jahren hatte ich manchmal so große Sehnsucht nach Pfannkuchen gehabt, dass ich in meinen rund vier Stunden Schlaf davon träumte. Ich konnte nur schlafen, wenn das Koffein und die Stresshormone in meinem Blut zu einem dumpfen Grollen abklangen oder wenn ich zu viel getrunken hatte.
    Ich träumte öfter von Pfannkuchen mit heißem Sirup als von Sex.
    Wenn ich es recht bedachte, träumte ich eigentlich nur selten von Sex.
    Was so einiges über mich verriet.
    Und deshalb goss ich Sirup auf meinen Teller, bis sich kleine Seen bildeten. Dann begann ich in jenem gemütlichen Café unter den Tannen an den Ausläufern von Mount Hood die Pfannkuchen eines freundlichen Kochs mit weißem Zopf zu essen.
    Wenn ich in die Zukunft hätte blicken können, hätte ich in meinen kniehohen schwarzen Stiefeln gezittert und wäre in die Mongolei oder den Kosovo geflüchtet.
    Doch woher sollte ich wissen, was mich erwartete? Ein Nacktlauf entlang einem Fluss, eine brutale Schlägerei in einer Kneipe, ein Selbstbemalungsritual zum Abbau meines Selbsthasses und ein Gerichtsverfahren, das sich zu einem Medienspektakel entwickeln sollte?
    Woher sollte ich wissen, dass ich gezwungen sein würde, meine heftige, obsessive Vorliebe für Alkohol zu bekämpfen?
    Ach, und noch eine winzige Kleinigkeit: Woher sollte ich wissen, dass die Frau, die in jenem Café saß und aus einem italienischen Renaissancegemälde gestiegen zu sein schien, die Frau, die sich lang und breit mit dem Koch über Bakterien und deren Ausrottung unterhielt, dass diese Frau zu dem Entschluss käme, ein gewisser Herr hätte unsere Erde lange genug mit seiner Existenz verschmutzt, und ihren Vernichtungsplan in die Tat umsetzen sollte, und dass die andere Frau im Raum ihr bei der Beseitigung der Leiche helfen würde?
    Die andere Frau im Raum?
    Das wäre ja ich.
    Woher sollte ich das wissen?
    Hätte ich es gewusst, hätte ich mich bestimmt an meinem Pfannkuchen verschluckt.
    Und das wäre wirklich schade gewesen, da ich Pfannkuchen doch so gern mag.
     
    »Willkommen in Weltana, junge Frau!«, sagte der Koch zu mir, als er mir die Rechnung brachte. Sein Zopf lag auf der rechten Schulter. »Bleiben Sie länger im Ort, oder sind Sie auf der Durchreise?«
    Ich schätzte ihn auf rund siebzig. Er erinnerte mich an einen weißen Kranich, allerdings war er das attraktivste Exemplar, das ich je gesehen hatte. Er hieß Donovan. Später erfuhr ich, dass er früher als Opernsänger in New York gearbeitet hatte.
    »Ich weiß es noch nicht«, erwiderte ich. »Ich bin doch nicht so weit vom Pazifik entfernt, oder?«
    Er schüttelte den Kopf und reichte mir mein Wechselgeld. »Nein. Von hier sind es noch rund drei Stunden. Möchten Sie den Pazifik sehen?«
    Ob ich den Ozean sehen wollte? Aber sicher. Aus der Nähe. Es wäre von Vorteil, meine Grabstätte vorher besichtigt zu haben. »Ja.«
    »Kein Problem! Wenn Sie den Highway aus dem Ort heraus nehmen in Richtung Stadt, können Sie an Portland vorbei geradeaus in Richtung Westen fahren. Der Sonnenuntergang da ist umwerfend.«
    Ich hatte nichts gegen einen umwerfenden Sonnenuntergang
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher