Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen des großen Bären

Im Zeichen des großen Bären

Titel: Im Zeichen des großen Bären
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
1
    Es goß seit Tagen. Unaufhörlich rauschte der Landregen in dicken Strähnen auf das gemarterte Land nieder. Als habe eine Riesenfaust die Bäume zerknickt, standen sie da im Braungrau der umgepflügten Erde. In langen Fetzen hingen die Rinden, und ihr rötliches Holz war aufgesplittert von Granaten.
    Um die Ränder riesiger Trichter krallten sich immer noch ein paar Ranken und Sträucher fest, teils schon im Lehm versackt, fast all ihrer Blätter beraubt. Eine durchsiebte Öde, ein Niemandsland, eine Todeszone für alles Lebendige, voller Blut und Blei, war diese schlammige Ebene im Sommer 1917.
    Auf dem Boden des Artois und des Pas-de-Calais lagen sich die Heere gegenüber. Die Schlacht stand. Um jeden Meter des brandigen Bodens wurde gekämpft. Immer wieder war die Luft erfüllt vom Gedröhn und Geknatter der Geschosse. Wenn die innerlich erstarrten Menschen hüben und drüben, die nun nichts mehr sein durften als Soldaten, ihre Deckungen verließen zu kläglichem Angriff, ratterten die Maschinengewehre, übertönte das Bersten der Handgranaten und das Pfeifen zahlloser Spitzkugeln die Schreie und das Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden, und später hob das lehmige Regenwasser, das Gräben und Trichter füllte, aufgeschwemmte Tote aufs nasse Land.
    Der Regen hörte nicht auf. Wer in den Gräben und Unterständen bleiben wollte, mußte Wasser pumpen. Und das taten auch die Soldaten des 159. Infanterieregiments von Ontario. Die Front schwieg. Es war still, fast märchenhaft still, denn auch die Deutschen, deren Stellungen niedriger lagen, pumpten emsig, und solange gepumpt wurde, war an Kampf nicht zu denken. Die allgemeine Erleichterung lag fast greifbar in der Luft. Sie brachte so etwas wie Frieden und Einverständnis über die Fronten hinweg. Denn die Gegner waren ja nur erbitterte Feinde, wenn der Kampf tobte, wenn es um Selbsterhaltung oder um Ideale ging. Ordentliche Burschen vielleicht. Aber einer stand hier, der andere stand drüben. Er war Feind. So war das nun einmal.
    Jetzt war es still. Und weil niemand immerfort unglücklich sein kann, richteten sich die Soldaten sofort in dieser Stille ein, gingen banalen Beschäftigungen nach, rauchten, aßen, zogen große Löcher in ihren Socken kühn zusammen. Und träumten. Natürlich träumten sie von zu Hause. Von Liebe. Von der Ehefrau, den Kindern. Sie hockten in den Unterständen und holten die zerknitterten Fotos aus der Tasche. In den völlig abgedunkelten Unterständen schrieben sie abends Briefe nach Hause, und rauhe Männer, die im Alltag nie ein zärtliches Wort über die Lippen gebracht hätten in der Furcht, es könne ihrer Würde schaden, besannen sich nun auf uralte Formeln der Liebe und der Sehnsucht und brachten sie erschauernd zu Papier. Für die Liebste. Für meinen geliebten Sohn, meine süße kleine Tochter. Seid mutig. Ich komme zu Euch zurück. Der Gedanke an Euch hält mich am Leben. Mit den Kameraden allerdings gab man sich großspurig und frotzelte ein bißchen über die Weiber und machte den dicken Maxen, weil es sich so gehörte. Auch in Todesnähe.
    Draußen im Graben, an der Sappe 9, stand William Rockwell auf Posten. Neben seinem zugedeckten MG, den Mantelkragen hochgeschlagen, den flachen Helm tief ins Gesicht gedrückt. Von neun bis elf hatte er hier Dienst zu schieben. Er fröstelte ein wenig und starrte hinüber zu den Gräben der Deutschen.
    Ab und zu meinte er dort etwas Feldgraues huschen zusehen, deutlich erkennbar war der dünne Strahl einer Wasserpumpe, und schwach war auch das Stampfen ihres kleinen Motors zu hören zwischen dem Platschen und Gluckern des Dauerregens.
    William Rockwell kniff die hellen Augen zusammen. Jawohl, die Krauts pumpten. Ihre Stellungen lagen tiefer als die der Kanadier. Das war gut so. Solange sie Wasser im Graben hatten, waren sie beschäftigt. Zwei Armeen pumpten und fluchten, und Mars setzte schwitzend seinen Helm ab und vertauschte die Rüstung mit einer Badehose.
    Alles ruhig. Der Gefreite Rockwell ließ den Blick wandern. Der Himmel hing tief über dem Artois. Dort die Mauerreste und verkohlten Balken waren einmal das Dorf St. Jules gewesen. Wenn der Wind aus der Richtung wehte, trug er immer noch Brandgeruch und einen Hauch von Verwesung mit sich. Fünfmal hatten seine Besetzer sich abgewechselt. Jetzt gab es St. Jules nicht mehr.
    Weiter südöstlich lag Cambrai. Vor wenigen Tagen hatte es dort eine Panzerschlacht gegeben, das war vorher noch nie da gewesen. Es mußte furchtbar
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher