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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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|7| Erster Teil
AGNES
    |9| I.
    Daß meine Mutter in der Sonntagsmesse fast niemals zur Kommunion ging, mußte damit zusammenhängen, daß sie nur selten beichtete.
    Sie war sehr andächtig während des ganzen Ritus, an dem wir gewöhnlich erst nach dem Ende der Predigt teilnahmen. Sie schlug sich an die Brust, sie machte ihre Kreuzchen und lag auf den Knien, aber sie blieb während der Kommunion, für die ich noch zu klein war, bei mir und ging nicht nach vorn, und das sicher nicht, um mich nicht ohne Schutz zurückzulassen. Außerdem gab es genug Frauen, die ihre kleinen Kinder mitnahmen, wenn sie zum Altar gingen, das bemerkte ich sehr wohl, und ich wußte auch, daß den Unvorbereiteten der Empfang der heiligen Speise verboten war.
    Meine Mutter war also unvorbereitet, sie hatte in der letzten Zeit nicht gebeichtet, meistens lag die letzte Beichte überhaupt schon weit zurück. In ihrem Gesicht war kein Bedauern zu lesen darüber, daß ihre nachlässige religiöse Pflichterfüllung sie nun von der Kommunion ausschloß. Wir warteten noch ein Weilchen und verließen dann die Bank noch vor dem Segen.
    So sehr meine Mutter also dem Altarsakrament Verehrung entgegenbrachte, eine Verehrung, die ihr verbot, es ungesühnt zu empfangen, so wenig Verlangen nach der Hostie schien sie zu besitzen. Habe ich sie überhaupt ein einziges Mal kommunizieren sehen? Und doch muß es vorgekommen sein, denn es fanden sich mehrere Bildchen zur Erinnerung an die Osterkommunion zwischen den Sterbezetteln in ihrem Gesangbuch.
    |10| Wann meine Mutter gebeichtet hatte, erfuhr ich schnell, aus ihrem eigenen Mund, sie erzählte beim Mittagessen immer ganz genau, was sie am Vormittag alles unternommen hatte, und sie hielt es niemals für nötig, ihre Beichte mit schamhafter Diskretion zu behandeln, sie berichtete darüber wie über einen Aufenthalt beim Friseur.
    In ihrem Sinn für das Praktische legte sie ihre Beichte gern auf einen Vormittag, an dem sie in der Stadt Besorgungen machte und deshalb in die Nähe einer anderen als unserer Gemeindekirche kam. Stellte ich mir deshalb ihre Bußakte, wenn sie erzählte, daß sie heute morgen »schnell beichten« gewesen sei, immer als etwas Flüchtiges, Huschendes vor, das im Gegensatz stand zu der unbeweglichen Ruhe des lange Stunden im Beichtstuhl ausharrenden, absolvierenden Beichtvaters? Es war gewiß schwierig, einem Wesen wie meiner Mutter gründlich und vollständig zu vergeben, wenn sie auf eine kleine Weile ihre Einkaufspäckchen im Stich ließ und sich wispernd in das dunkle Kästchen setzte. Dann sagte sie ihre Sünden auf, aber was waren das für Sünden? Ich sah meine Mutter jeden Tag viele Stunden lang, und es wäre mir schwergefallen, ihre Sünden aufzuzählen. Sie sorgte doch dafür, daß ich meinen Pflichten nachkam und brav war, konnte das eine Sünderin? Ich vermutete, daß meine Mutter das ähnlich sah. Wenn sie schließlich zur Beichte ging und ihre Untaten, die nun zum Teil schon länger als ein Jahr zurücklagen, dem Priester ins Ohr flüsterte, dann müssen ihr diese Geständnisse ganz unreal vorgekommen sein, gerechtfertigt nur, weil sie zur vollständigen Ausübung einer alten Zeremonie gehörten. Dabei waren alte Sünden ohnehin die einzigen, die sie hätte bekennen können. Sie hatte keine neuen Sünden, denn sie erlebte ihre Gegenwart schuldlos wie ein neugetauftes Kind. Eine Sünde bei sich zu erkennen war für sie mit der intellektuellen Leistung verbunden, eine ihrer spontanen Handlungen in das Korsett eines moralischen Gesetzes zu schnüren, und sie empfand immer als unbefriedigend, daß all die gewichtigen Gründe ihrer Taten, die zu ihrer vollständigen Erklärung beitrugen, in diesem Korsett keinen Platz finden sollten. Immerhin, die Beichte war nun einmal |11| eine entscheidende Voraussetzung für die Kommunion, Reflexionen über ihren Sinn konnten daran nichts ändern. Und dennoch vermute ich, daß die geringe Sehnsucht meiner Mutter nach der Eucharistie auch damit zusammenhing, daß die Kirche vor dieses höchste Glück des Menschen eine Schranke gesetzt hatte, die meiner Mutter offenbar nicht einleuchten wollte. Wenn ein missionarisches Argumentieren ihre Sache gewesen wäre, hätte sie vielleicht sogar versucht, den verräterischen Judas, der sich auf dem Schnitzaltar des Domes während der ersten Spendung der Kommunion beim letzten Abendmahl mit seinem prallen Geldsäckchen ungespeist vom Abendmahlstisch davonstahl, zum Bleiben zu bewegen und allenfalls einen
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