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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens
Autoren: Katharina Ley
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vermisse sie und erschaudere, weil sie in einem ähnlichen Alter waren wie ich. Weitere Freunde sind krank. Meine Mutter ist sehr alt und schwach. Ich realisierte, dass das Thema des Abschieds, das in meinem Leben so dominant geworden war, es mir schwermachte, gleichzeitig an diesem Buchthema zu arbeiten. Und dennoch spürte ich die Notwendigkeit, dies zu tun, und zwar mit Achtsamkeit und Hingabe.
    Beim längeren Nachdenken über konkrete Menschen und Situationen, die ich kannte, wurde mir bewusst, wie ich tief in die Themen Angst, Trauer, Schuld und Scham einzusteigen hatte, um dem Thema Beenden gerecht zu werden. Es geht um einen Perspektivenwechsel. Das Dunkel, das über dem Beenden zu lasten scheint, kann verwandelt werden. Es gibt kein Dunkel ohne Licht. Und kein Licht ohne Dunkel.

1. Bewahren und halten
    Es geht darum, alle Erscheinungen als Spiel zu begreifen.
    Dalai Lama

    Bevor wir im Leben das Beenden wagen, versuchen wir das Bewahren und Halten zu leben – aus ganz unterschiedlichen Regungen heraus. Dem Bewahren und Halten sollen die nächsten Abschnitte gewidmet sein, wobei das Beenden-Wollen immer auch eine Rolle spielt. Wer als Leserin und Leser unmittelbar ins Thema des Beendens einsteigen möchte, soll dies tun und ins zweite Kapitel Beenden als Prozess einsteigen.
Das Verbotene und das Unmögliche
    Darf und kann man eine Beziehung, in der man nicht mehr wachsen kann, beenden? Darf und kann man eine Arbeitsstelle, an der man sich nicht mehr entwickeln kann, aufgeben? Ist es unmöglich, gar verboten?
    Von früh an in unserem Leben müssen wir uns mit dem Verbotenen und dem Unmöglichen beschäftigen. Was verboten ist oder unmöglich erscheint, reizt, es weckt Lust und Neugier, macht Angst, stimmt ärgerlich oder deprimiert. Der Umgang mit dem Verbotenen und dem Unmöglichen ist ein Teil in der Entwicklung unserer Identität. Ein Leben lang suchen wir Lösungen für unsere verbotenen Regungen oder unmöglichen Wünsche.
    Das Verbotene im Leben eines Menschen bezieht sich auf erste Erfahrungen in der Kindheit: du darfst nicht, das sollst du nicht. Das gehört sich nicht. Das ist verboten, und wenn du es trotzdem tust, dann gibt es eine Strafe.
    Natürlich ist das Verbotene grundsätzlich realisierbar. Wir können lügen und stehlen und betrügen. Wir wissen, dass es uns als Kind von den Eltern und Bezugspersonen verboten wurde. Als Erwachsene wird von uns erwartet, dass wir diese Verbote verinnerlicht haben. Doch mit dem Alter erweitert sich unser Handlungsspielraum, es kommen weitere Verbote dazu. Es ist verboten, betrunken Auto zu fahren, in Läden zu stehlen, Drogenhandel zu betreiben und Steuern zu hinterziehen.
    Die Verbote sind letztlich entstanden, weil Menschen Triebregungen haben, die das gemeinschaftliche Zusammenleben gefährden. Gewisse Verbote sind sich in verschiedenen Kulturen und Religionen ähnlich: zum Beispiel das Inzesttabu. In unseren Breitengraden sind wir vom christlichen und jüdischen Gedankengut – von den zehn Geboten und der Bergpredigt – geprägt. Es geht darum, ein Verbot nicht zu überschreiten (hassen, morden, ehebrechen etc.) und die Überschreitung, wenn sie stattfindet, zu beenden und entsprechend Reue zu zeigen.
    Wenn wir von der Kunst des Beendens sprechen, sollen wir auch über das, was bewahrt und eingehalten werden soll, reden: die Gesundheit, der Anstand, eine Beziehung, die eingegangen wurde, eine Arbeit, zu der man sich verpflichtet hat.
    Bleiben wir bei der Gesundheit als Beispiel. Wenn wir sie bewahren wollen, sollen wir gesund leben, das heißt nicht zu viel oder zu wenig und nichts Ungesundes im Übermaß essen und trinken, möglichst keine Suchtmittel konsumieren und uns regelmäßig bewegen. Hier sind wir dem Verbotenen schon ganz nahe. Die Erfahrung zeigt, dass gerade die verbotenen Dinge locken. Wer sich angewöhnt hat, regelmäßig und über längere Zeit ungesund zu leben, wird Mühe haben, diese schlechten Gewohnheiten zu beenden.
    Ein Mensch kann in einer Beziehung oder an einer Arbeitsstelle seelisch und körperlich krank werden. Um die Gesundheit nicht weiter zu gefährden, müsste etwas beendet werden.
    Das Unmögliche fordert uns von früher Kindheit an: DasKind kann nicht mit der Mutter eins sein, es kann den Vater bzw. die Mutter nicht heiraten, es ist entweder männlich oder weiblich, aber nicht beides, es ist noch klein und wird erst allmählich groß. Wenn wir erwachsen werden, erkennen wir weitere Unmöglichkeiten: Männer können
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