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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis
Autoren: Ellis Peters
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untersucht.«
    Für einen langen Augenblick stand Evrard Boterei reglos und hochaufgerichtet wie eine Marionette zwischen der Frau und den beiden anderen Männern. Dann sank er mit einem langen verzweifelten Seufzer in sich zusammen und kniete, die Fäuste auf die Brust gepreßt, auf dem Boden. Sein blondes Haar war ihm ins Gesicht gefallen, das nun der hellste Fleck in diesem Lichtstreifen war, in dem er kniete.
    »O Gott, vergib mir, vergib mir... ich wollte sie nur zum Schweigen bringen, ich wollte sie nicht töten... ich wollte sie nicht töten...«
    »Es kann sogar sein, daß das stimmt«, sagte Ermina. Sie saß zusammengesunken und reglos vor dem Kamin in der Gästehalle. Ihre Tränen waren getrocknet und in ihr war nur eine tiefe Erschöpfung. »Vielleicht wollte er sie wirklich nicht töten. Es könnte sein, daß er die Wahrheit gesprochen hat.«
    Und dies hatte er gesagt, als er schließlich aus seiner Verzweiflung erwacht war und versuchte, seinen Fall so günstig wie möglich zu schildern, um sein Leben zu retten: wegen des Schneesturms hatte er seine Suche abgebrochen und war gezwungen gewesen, im Schutz der Hütte zu warten, bis das Wetter sich etwas beruhigt. Er hatte nicht damit gerechnet, irgend jemanden dort vorzufinden, aber als er sah, daß ihm hier eine schlafende Frau ausgeliefert war, hatte er die Wut, die Verachtung für alle Frauen, die Ermina in ihm geweckt hatte, an ihr ausgelassen. Als sie erwacht war und sich gegen ihn wehrte, war er nicht sanft mit ihr umgegangen - aber er hatte sie nicht töten wollen! Nur zum Schweigen bringen, mit den Röcken ihres Gewandes, die er auf ihren Mund preßte. Und dann lag sie steif und leblos da und er konnte sie nicht wiederbeleben. Er zog ihr das Gewand aus, versteckte die Kleider unter dem Heu und nahm ihren Leichnam mit bis zum Bach, damit es so aussah, als sei sie ein weiteres Opfer der Räuber, die Callowleas geplündert hatten.
    »... wo er sich seine verräterische Wunde zugezogen hat«, sagte Bruder Cadfael und sah sie an. Sie verzog ihr bleiches Gesicht zu einem bitteren Lächeln. Wie eine schmerzhafte Grimasse zuckte es um ihren Mund.
    »So hat er es Euch geschildert, ich weiß! Und wer wollte es bezweifeln! In heldenhaftem Kampf um sein Gut und seine Leute ist er verwundet worden! Aber ich sage Euch: er hat nicht einmal sein Schwert gezogen - er ließ seine Leute dahinschlachten und floh wie eine Ratte. Und mich zwang er, mit ihm zu gehen! Unter meinen Ahnen ist nicht einer, der in einer solchen Lage geflohen wäre und seine Leute hätte sterben lassen! Das hat er mir angetan und das kann ich ihm nicht vergeben. Und ich hatte geglaubt, ihn zu lieben! Ich werde Euch sagen, wie er zu der Wunde gekommen ist, die ihn am Ende verriet: während des ganzen ersten Tages in Ledwyche trieb er seine Männer an, Bäume für Palisaden zu fällen und da war er noch völlig unversehrt. Und den ganzen Tag über hatte ich nachgedacht. Er hatte Schande über mich gebracht und als er gegen Abend zu mir kam sagte ich ihm, daß ich ihn nicht heiraten würde, daß ich mit einem Feigling wie ihm nichts zu tun haben wollte. Bis dahin war er ständig um mich besorgt gewesen und hatte mich nicht angerührt, aber als er sah, daß er mich und meine Mitgift verlieren würde, änderte sich sein Verhalten sehr schnell.«
    Cadfael verstand. Wenn die Ehe erst durch eine heimliche Vergewaltigung vollzogen war, würden die meisten Familien diese Tatsache lieber notgedrungen anerkennen, als einen häßlichen Skandal und eine Fehde heraufzubeschwören. Es war nichts Ungewöhliches, daß ein Mann erst eine Frau mit Gewalt nahm, um sie danach zu heiraten.
    »Ich trage einen Dolch bei mir«, sagte sie grimmig, »auch jetzt. Ich habe ihm diese Wunde beigebracht. Ich wollte sein Herz treffen, aber die Klinge glitt ab und riß eine Wunde in Brust und Oberarm. Nun, Ihr habt sie ja gesehen...« Sie betrachtete die zusammengefaltete Kutte, die neben ihr auf der Bank lag. »Und während er noch tobte, fluchte und blutete und seine Leute herbeigerannt kamen, um ihn zu verbinden, schlüpfte ich hinaus in die Nacht und rannte davon. Ich wußte, daß er mich verfolgen würde. Nach diesem Vorfall konnte er es sich nicht leisten, mich entkommen zu lassen. Er mußte mich heiraten oder mich töten. Natürlich dachte er, daß ich versuchen würde, die Straße und die Stadt zu erreichen. In diese Richtung lief ich auch, aber nur bis der Wald meine Spuren verdeckte - dann kehrte ich in einem großen
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