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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis
Autoren: Ellis Peters
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Bogen zurück und versteckte mich. Ich sagte Euch ja, daß ich ihn, schwach wie er war und sehr wütend, ausreiten sah, so wie ich es mir gedacht hatte.«
    »Allein?«
    »Natürlich war er allein. Er wollte keinen Zeugen dabeihaben, wenn er mich ermordete oder vergewaltigte. Seine Leute hatten den Befehl, auf dem Gut zu bleiben. Und ich sah, wie er mit durchgeblutetem Verband zurückkam, obwohl ich mir damals nichts dabei dachte, außer daß er sich wahrscheinlich überanstrengt hatte.« Ihr schauderte bei dem Gedanken an die Anstrengung, bei der seine Wunde wieder aufgebrochen war.
    »Als er sah, daß ich ihm entkommen war, ließ er seine Wut an der ersten Frau aus, die ihm begegnete und rächte sich. Ich hätte es ihm nicht vorwerfen können, wenn es mich getroffen hätte. Schließlich war ich, die ich ihm entkommen war, der Grund für all dies gewesen. Aber sie... was hat sie ihm getan?«
    Das war die ewige Frage, auf die es keine Antwort gab.
    Warum müssen Unschuldige leiden?
    »Und doch«, sagte sie zweifelnd, »was er sagt, könnte wahr sein. Er ist es nicht gewöhnt, abgewiesen zu werden und das hat ihn blind vor Wut gemacht... Er hat einen aufbrausenden Charakter. Früher einmal habe ich ihn dafür bewundert...«
    Ja, es mochte sein, daß er ohne Absicht getötet und danach in seiner Panik versucht hatte, die Spuren seiner Tat zu verwischen. Es mochte aber auch sein, daß er nach kaltblütiger Überlegung zu dem Schluß gelangt war, eine Tote könne ihn nicht mehr anklagen und Schwester Hilaria darum für immer zum Schweigen gebracht hatte. Das würden jetzt die Männer zu entscheiden haben, die in dieser Welt zu Gericht sitzen.
    »Erzählt Yves nichts von alledem!« sagte Ermina. »Ich werde das tun, wenn die Zeit dazu reif ist. Aber nicht hier und nicht jetzt!«
    Nein, es bestand keine Notwendigkeit, dem Jungen etwas von dem Kampf zu erzählen, der nun vorüber war. Evrard Boterei war unter Bewachung nach Ludlow gebracht worden und auf dem großen Hof des Klosters deutete nichts darauf hin, daß ein Verbrechen aufgeklärt worden war. Ganz langsam, fast heimlich, kehrte Frieden in Bromfield ein. In weniger als einer halben Stunde war es Zeit, zum Vespergottesdienst zu gehen.
    »Nach dem Abendessen solltet Ihr zu Bett gehen und einige Stunden schlafen - der Junge auch«, sagte Cadfael. »Ich werde nach eurem Ritter Ausschau halten und ihn einlassen.«
    Er hatte seine Worte gewählt. Sie hatten dieselbe Wirkung wie das Tauwetter, das draußen eingesetzt hatte. Ermina hob ihren Kopf und sah ihn an; ihr Gesicht war wie eine aufblühende Knospe und vor der Freude, die sie ausstrahlte, schmolz alle bittere, schuldbeladene Traurigkeit, alle Reue über ihre Torheit dahin und fiel von ihr ab. Sie hatte dem Tod und ihrer Vergangenheit den Rücken zugekehrt und sich sehnsüchtig der Zukunft und dem Leben zugewandt. Er glaubte nicht, daß sie diesesmal einen Fehler beging. Keine Macht der Welt würde jetzt imstande sein, sie von ihrer Entscheidung abzubringen.
    Zur Komplet hatte sich in dem für die Gemeinde bestimmten Teil der Kirche eine kleine Schar von Gläubigen versammelt.
    Etwa ein Dutzend Bauern aus der Gegend waren gekommen, um dem Herrn für die Erlösung vorn Terror der Räuberbande Dank zu sagen. Auch das Wetter steuerte seinen Teil zur allgemeinen Stimmung der Freude bei: der Himmel war sternenklar und es lag kaum Frost in der Luft. Für Leute, die sich auf eine Reise begeben wollten, war es keine schlechte Nacht.
    Cadfael wußte inzwischen, worauf er achten mußte, aber dennoch dauerte es ein wenig, bis er den demütig gebeugten, schwarzhaarigen Kopf entdeckt hatte, nach dem er Ausschau hielt. Es war bewundernswert, daß ein so außergewöhnlicher Mensch sich so unscheinbar machen konnte. Als die Komplet zu Ende war und Cadfael die Bauern zählte, die die Kirche verließen, wunderte er sich nicht im geringsten, daß einer dabei fehlte. Olivier besaß nicht nur die Fähigkeit, das Aussehen eines einfachen Bauernburschen anzunehmen, er konnte auch geräuschlos in den Schatten verschwinden und dort so unbeweglich verharren wie die steinernen Mauern um ihn herum.
    Alle waren gegangen - die Bauern nach Hause, die Klosterbrüder in den geheizten Raum, in dem sie noch eine halbe Stunde beisammensaßen, bevor sie zu Bett gingen. In der kühlen, dunklen Kirche war es völlig still.
    »Ihr könnt unbesorgt herauskommen, Olivier«, sagte Bruder Cadfael. »Eure Schützlinge schlafen noch bis Mitternacht und haben
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