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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis
Autoren: Ellis Peters
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mich gebeten, mich um Euch zu kümmern.«
    Die schlanke, geschmeidige Gestalt eines jungen Mannes trat aus dem Schatten. Er war ohne Waffe - bevor er diesen heiligen Ort betrat, hatte er sein Schwert abgelegt. Seine Schritte waren geräuschlos wie die einer Katze. »Ihr kennt mich?«
    »Sie hat mir von Euch erzählt. Wenn der Junge Euch geschworen hat zu schweigen, so könnt Ihr beruhigt sein. Er hat sein Wort gehalten. Sie aber hat mich ins Vertrauen gezogen.«
    »Dann kann ich dasselbe tun«, sagte der junge Mann und trat näher. »Ich sehe Euch kommen und gehen wie es Euch beliebt. Genießt Ihr hier besondere Privilegien?«
    »Ich bin aus Shrewsbury und gehöre nicht zu diesem Kloster.
    Ich bin nur hier, um einen Kranken zu pflegen, daher halte ich mich nicht an alle Ordensregeln. Bei dem Kampf auf dem Clee habt Ihr ihn gesehen - es ist der verwirrte Bruder, der sich in Lebensgefahr begab und dadurch Yves die Gelegenheit gab zu entkommen.«
    »Ich stehe hoch in seiner Schuld«, sagte Olivier mit leiser, fester, ernster Stimme. »Und ich glaube, auch in Eurer, denn Ihr müßt der Bruder sein, bei dem er danach Zuflucht gesucht hat, derselbe, von dem er mir erzählt hat, er habe ihn ursprünglich hierher in Sicherheit gebracht. An Euren Namen aber kann ich mich nicht erinnern.«
    »Ich heiße Cadfael. Wartet einen Moment, ich will nachsehen, ob alle anderen im Haus sind...« Im schwachen Schein der letzten Fackeln lag der Hof still und leer da. Die freigefegten, dunklen Pfade bildeten ein Muster im weißen Schnee. »Kommt!« sagte Cadfael. »Ich weiß einen wärmeren, wenn auch keinen so geweihten Ort, wo wir warten können. Ich halte es für das Beste, daß Ihr erst aufbrecht, wenn die Brüder sich zur Mitternachtsmette und Laudes versammelt haben, denn dann wird auch der Pförtner in der Kirche sein und ich werde euch ungesehen zum Tor hinauslassen können. Wo habt Ihr Eure Pferde?«
    »In einem Versteck ganz in der Nähe«, antwortete Olivier ruhig. »Ein Junge, dessen Eltern beim Überfall auf Whitbache ermordet worden sind, begleitet mich. Er paßt auf sie auf und wartet auf uns. Ich werde mit Euch kommen... Bruder Cadfael.«
    Er sprach den ungewohnten Namen tastend und fehlerhaft aus.
    Fast unhörbar lachend legte er seine Hand in die Hand Bruder Cadfaels und ließ sich von ihm durch die Dunkelheit führen. So traten sie Hand in Hand aus der Kirche und gingen durch das Gewirr der sich kreuzenden Pfade zum Krankenquartier des Klosters.
    Im Schlaf bot Bruder Elyas' große, ruhige Gestalt einen beeindruckenden Anblick. Er lag auf dem Rücken, seine Hände waren entspannt auf der Brust gefaltet und sein Gesicht hatte einen schönen, heiteren Ausdruck. Er sah aus wie eine in Stein gemeißelte Figur auf dem Deckel eines Sarkophags, die das Andenken des Toten, der darin ruht, ehren und verschönern soll. Aber dieser Mann lebte, er atmete tief und regelmäßig und die Lider über seinen Augen waren so friedlich geschlossen wie die eines Kindes. Bruder Elyas sammelte in sich die göttliche Kraft, die Geist und Körper heilt und hatte es aufgegeben, eine Schuld auf sich zu nehmen, die ihm nicht gebührte.
    Nein, um Bruder Elyas brauchte man sich keine Sorgen mehr zu machen. Cadfael schloß die Tür zum Krankenzimmer und setzte sich mit seinem Gast in den dämmrigen Vorraum. Bis zur Mitternachtsmette waren es noch etwa zwei Stunden.
    Zu dieser späten Stunde strahlte der kleine, kahle Raum, der nur von einer Kerze erleuchtet war, eine Atmosphäre geheimer Vertraulichkeit aus. Schweigend setzten sie sich, der junge und der alte Mann und betrachteten einander mit offener, wohlwollender Neugierde. Langes Schweigen bereitete ihnen kein Unbehagen und wenn sie sprachen, klangen ihre Stimmen sanft, leise und bedächtig. Es war, als ob sie sich schon ein Leben lang kannten. Ein Leben lang? Der eine von ihnen konnte nicht älter sein als fünf-oder sechsundzwanzig und er war ein Fremdling aus einem fremden Land.
    »Ihr habt einen gefährlichen Weg vor Euch«, sagte Cadfael.
    »An Eurer Stelle würde ich die Landstraße nach Leominster verlassen und einen Bogen um Hereford schlagen.« Er wurde eifriger, schilderte die Route, die ihm die beste zu sein schien, im einzelnen und zeichnete mit einem Stück Holzkohle sogar einen ungefähren Plan der Wege, soweit er sich an sie erinnern konnte, auf den Steinboden. Der junge Mann beugte sich vor, sah aufmerksam zu und hob mit einer schwungvollen Bewegung und einem strahlenden Lächeln den
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