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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis
Autoren: Ellis Peters
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Auge; und sonst fiel nur noch Licht durch die schmalen Fenster, in blassen Streifen auf den Boden aus Stein.
    Plötzlich erlosch das rote Auge des Altarlichtes. Sie mußte die wenigen Schritte vom Einsegnungsaltar bis zu ihnen ganz rasch gegangen sein, aber ihre Bewegungen waren lautlos und in der vorübergehenden Dunkelheit unsichtbar gewesen.
    Gleitend, geräuschlos kam sie auf Evrard Boterei zu, die flehende Geste ihrer ausgestreckten Hand verwandelte sich urplötzlich in eine bittere Anklage. Zunächst konnte er kaum erkennen, was sich dort vor ihm, im Dämmerlicht, bewegte, aber dann trat sie in den ersten hellen Lichtstrahl: eine schlanke Benediktinernonne, die Kapuze und Schleier tief über das Gesicht gezogen hatte. An ihrer Kutte hafteten Halme des Heus aus der Hütte, auf der rechten Brust und Schulter war ein rostroter, steifer Fleck aus getrocknetem Blut. Das bleiche Licht umfing sie und brachte alles deutlich zum Vorschein, auch das Blut am Ärmel, mit dem sie sich besudelt hatte, als sie sich gegen ihn wehrte und seine frische Wunde wieder aufriß, während er auf ihr lag. Lautlos glitt sie auf ihn zu.
    Er machte einen Satz zurück, prallte gegen Bruder Cadfael und stieß einen gedämpften Schrei des Grauens aus. Mit einer Hand bekreuzigte er sich vor dieser schrecklichen Erscheinung.
    Unter der tiefen Kapuze funkelten ihn große Augen an und immer noch kam sie näher.
    »Nein... nein! Hinweg! Du bist tot...«
    Nur ein ersticktes Flüstern kam aus seiner Kehle. So mochte ihre Stimme geklungen haben, als er ihr seine Hände um den Hals legte. Dennoch war es so laut, daß Cadfael es gehört hatte. Und damit hatte er sich verraten, auch wenn er im nächsten Moment schon seine Fassung wiedererlangt hatte und sich aufrichtete, um dieser Herausforderung zu begegnen.
    Dicht vor ihm stand sie jetzt im Licht - ein Wesen aus Fleisch und Blut, greifbar und verletzlich.
    »Was ist das für eine Posse? Habt ihr jetzt auch Verrückte bei Euch aufgenommen? Wer ist das?«
    Sie streifte die Kapuze zurück, riß das Brusttuch ab und schüttelte ihr fülliges schwarzes Haar, daß es über die blutverschmierte Schulter von Schwester Hilarias Kutte fiel. Mit einem wilden, wie aus Stein gehauenen Gesicht und funkelnden Augen stand Ermina Hugonin vor ihm.
    Auf diese Erscheinung war er ebensowenig vorbereitet wie auf die vorherige. Er hatte nichts mehr von ihr gehört und so vielleicht angenommen, sie liege tot unter irgendeiner Schneewehe im Wald und könne ihm nicht mehr gefährlich werden. Vielleicht hatte er gedacht, daß ihn nichts, was sie gegen ihn vorbringen könnte, gefährden könne, wenigstens nicht in dieser Welt - und um eine andere kümmerte er sich nicht. Eben war er einen Schritt vor ihr zurückgewichen, aber weiter konnte er nicht, denn Cadfael und Beringar standen rechts und links zwischen ihm und der Kirchentür. Aber entschlossen riß er sich zusammen und sah sie, als Entgegnung auf diese unerklärliche Anklage, mit verletztem, verwirrtem Gesicht vorwurfsvoll an.
    »Ermina! Was hat das zu bedeuten? Warum hast du mich nicht benachrichtigen lassen, daß du am Leben bist? Und was soll dieses Narrenspiel? Habe ich das verdient? Du weißt doch, daß ich und meine Leute dich unablässig gesucht haben!«
    »Das weiß ich«, sagte sie. Ihre Stimme war leise, hart und so kalt wie Eis, das Schwester Hilaria umschlossen hatte. »Und wenn Ihr mich gefunden hättet und kein Zeuge dabeigewesen wäre, hätte ich das Schicksal meiner Freundin teilen müssen, denn Ihr wußtet ja, daß Ihr mich nie dazu bringen würdet, Euch zu heiraten. Verheiratet oder tot - eine andere Möglichkeit durfte für mich nicht bestehen, denn sonst hätte ich mehr sagen können, als für Euren Frieden und Eure Ehre gut war. Dabei habe ich hier nicht ein Wort gesagt, das Euch belasten könnte, denn schließlich hatte ich diese Sache ins Rollen gebracht und trug dafür genausoviel Verantwortung wie Ihr. Aber nachdem ich jetzt weiß, was ich weiß, und in ihrem Namen... ja, ja, ja, tausendmal klage ich Euch, Evrard Boterei, als Mörder und Schänder von Schwester Hilaria an!«
    »Du hast deinen Verstand verloren!« schrie er in dem Versuch, ihre Anklage beiseite zu fegen. »Wer ist diese Frau, von der du sprichst? Ich kenne keine solche Person! Seit du mich verlassen hast, habe ich verwundet mit Fieber im Bett gelegen. Alle meine Leute können das bestätigen...«
    »Oh, nein - nein! Nicht in jener Nacht! Ihr seid mir nachgeritten, um Eure Ehre zu
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