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Gute Nacht, Peggy Sue

Gute Nacht, Peggy Sue

Titel: Gute Nacht, Peggy Sue
Autoren: Tess Gerritsen
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1
    E ine Stunde vor Beginn ihrer Schicht, eine Stunde bevor sie Anwesenheit demonstrieren mußte, wurde die erste Leiche durch die Tür geschoben.
    Bis zu diesem Augenblick war M. J. Novaks Tag gar nicht so schlecht gewesen. Ihr Wagen war beim ersten Versuch angesprungen. Auf der Telegraph Street hatte wenig Verkehr geherrscht, und sie hatte die grüne Welle erwischt. Schließlich war es ihr gelungen, um fünf vor sieben unbemerkt und mit der Absicht in ihr Büro zu schleichen, sich die folgende Stunde ohne Gewissensbisse mit einem Marmeladen-Doughnut und der letzten Ausgabe des Klatschmagazins
Star
an ihrem Schreibtisch zu vergnügen. Das Titelblatt des
Star
zierten ihre Lieblings-Royals, Andy und Fergie. Ja, der Tag hatte weiß Gott nicht übel angefangen.
    Bis die Bahre mit dem schwarzen Leichensack an ihrer Tür vorbeirollte.
Gütiger Himmel, muß das sein,
dachte sie. In circa dreißig Sekunden würde Ratchet an ihre Tür klopfen und sie um einen Gefallen bitten. Nichts Gutes ahnend, horchte M. J. auf die Fahrgeräusche der Bahre im Korridor, hörte, wie die Flügeltür zum Obduktionssaal auf und zu klappte, vernahm das ferne Brummen von Männerstimmen. Und dann kam es, wie es kommen mußte: Ratchets quietschende Reebok-Sohlen näherten sich über den Linoleumbelag im Gang.
    Im nächsten Moment tauchte der Mann in ihrem Türrahmen auf. »Morgen, M. J.«, sagte er.
    Sie seufzte. »Schönen guten Morgen, Ratchet.«
    »Ist es zu fassen? Gerade haben sie noch eine reingerollt.«
    »Was du nicht sagst! Die haben vielleicht Nerven.«
    »Ist schon zehn nach sieben«, fuhr er fort, und seine Stimme bekam etwas Flehentliches. »Wenn du mir nur diesen einen Gefallen …«
    »Aber ich bin gar nicht da.« Sie leckte einen Klecks Himbeergelee von ihrem Finger. »Nicht vor acht Uhr. Im Moment bin ich so was wie eine Fata Morgana.«
    »Ich hab jetzt keine Zeit für solche Scherze. Beth sitzt schon mit den Kindern auf unseren Koffern und wartet, daß es losgeht. Und mir werfen sie wieder eine von diesen namenlosen Frauenleichen vor die Füße. Hab ein Herz!«
    »Ist das dritte Mal in diesem Monat.«
    »Aber ich habe Familie. Sie erwarten, daß ich gelegentlich ein bißchen Zeit für sie habe. Du bist allein und ungebunden.«
    »Richtig. Ich habe mich scheiden lassen. Aber was habe ich davon, wenn ich jetzt immer den Ausputzer spielen muß?«
    Ratchet schlurfte in ihr Büro und lehnte sein dickes Hinterteil gegen ihren Schreibtisch. »Nur noch dieses eine Mal! Beth und ich haben Probleme. Und ich möchte, daß der Urlaub ein Erfolg wird. Ich zeig mich irgendwann erkenntlich. Versprochen.«
    M. J. klappte seufzend die Zeitschrift zu. Die Seelenqualen von Andy und Fergie mußte sie vorerst auf Eis legen. »Okay«, sagte sie schließlich, wobei es ihr mehr am Herzen lag, ihre Karteikarten vom Gewicht von Ratchets Hintern zu befreien, als ihm einen Gefallen zu tun. »Was liegt an?«
    Ratchet war bereits dabei, seinen weißen Arztmantel abzulegen und Freizeitkleidung zu präsentieren. »Unbekannte Frauenleiche. Keine Anzeichen von äußerer Gewalteinwirkung. Wieder ein Fall für das ganze Spektrum von Laboranalysen. Beamis und Shradick sind bei ihr drinnen.«
    »Die beiden haben sie eingeliefert?«
    »Yeah. Damit hast du schon mal einen anständigen Polizeibericht, auf den du dich verlassen kannst.«
    M. J. stand auf und klopfte Puderzucker von der weißen Hose ihrer Arztkleidung. »Du bist mir was schuldig«, sagte sie auf dem Weg in den Korridor.
    »Ich weiß, ich weiß.« Ratchet blieb auf der Schwelle zu seinem Büro stehen und griff nach seinem Jackett … das Bilderbuch-Outfit des erfolgreichen Fliegenfischers.
    »Laß noch ein paar Forellen für den Rest der Menschheit übrig.«
    Er grinste und grüßte militärisch. »Auf in die Wildnis von Maine!« erklärte er und lief in Richtung Aufzug. »Bis nächste Woche!«
    Schicksalsergeben stieß M. J. die Tür zum Obduktionssaal auf und trat ein.
    Die Leiche lag im schwarzen Leichensack auf dem Obduktionstisch. Lieutenant Lou Beamis und Sergeant Vince Shradick, Veteranen im Kampf gegen das Hauen und Stechen auf den Straßen der Stadt, erwarteten sie bereits. Beamis sah in Anzug und Krawatte noch schmucker aus als sonst. Der farbige Polizeibeamte zog es stets vor, Leichen im eleganten CardinOutfit zu beehren. Sein Partner, Vince Shradick, war hingegen ein Dauerkandidat für Slim-Fast-Diäten. Shradick starrte fasziniert auf den Inhalt eines großen Reagenzglases im Regal.
    »Was zum
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