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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis
Autoren: Ellis Peters
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einen notwendigen Ausflug in die Welt und die seltene Erlaubnis, sich ein Pferd seiner Wahl im Stall auszusuchen, gefreut. Er hatte an Feldzügen in bitterer Winterkälte ebenso teilgenommen wie an solchen unter glühender Sonne, und so schreckte der Schnee ihn nicht, obwohl er weise genug war, sich vor ihm in Acht zu nehmen und ihn nicht zu unterschätzen.
    Während der vier Tage seit dem ersten Schneefall war das Wetter einem bestimmten Muster gefolgt: gegen Mittag etwas Sonne, danach zunehmende Bewölkung, spät am Abend und bis in die Nacht hinein dann wieder Schneefall, und die ganze Zeit eisige Kälte. In der Gegend von Shrewsbury war nur leichter, pudriger Schnee gefallen. Das Muster der weißen Flecken auf der schwarzen Erde hatte sich, je nach Laune des Windes, ständig verändert. Aber als Cadfael weiter nach Süden kam, wurden die Felder weißer und die Gräben waren schneegefüllt. Die Zweige der Bäume waren von ihrer Last gebeugt, und gegen Mitte des Nachmittages lastete der bleifarbene Himmel mit seinen blau-schwarzen, drohenden Wolken nicht weniger schwer über der Erde. Wenn das so weiterging, würden bald die Wölfe von den Hügeln herunterkommen und hungrig um die Behausungen der Menschen streichen. Da hatten es die Igel, die den Winter unter einer Hecke verschliefen, oder die Eichhörnchen, die sich ein warmes Nest mit guten Vorräten gebaut hatten, doch wesentlich besser. Im Herbst hatte es eine gute Ernte an Nüssen und Eicheln gegeben.
    Selbst allein und in der bitteren Kälte bereitete ihm das Reiten Vergnügen. Er hatte jetzt nur noch selten Gelegenheit dazu; es war eine der Freuden, die er für den Frieden des Klosters und das Gefühl, seinen eigentlichen Platz gefunden zu haben, aufgegeben hatte. In jeder Entscheidung gab es etwas, das man bedauern konnte. Er krümmte den Rücken vor dem übellaunigen Wind und sah die ersten staubfeinen Flocken an sich vorbeitreiben. Aber im warmen Schutz von Kutte und Umhang fühlte er sich geborgen. Er dachte an den Mann, der am Ende dieser Reise auf ihn wartete.
    Ein Mönch, hatte der Bote gesagt. Aus Bromfield? Gewiß nicht. Wenn er zu ihnen gehört hätte, würden sie seinen Namen genannt haben. Ein Mönch, der alleine unterwegs war, mitten in der Nacht? In wessen Auftrag? Oder war er vor etwas geflohen, bevor er Räubern und Mördern in die Hände gefallen war?
    Auch andere mußten durch eben diese Gegend gekommen sein, auf der Flucht vor der Plünderung von Worcester, und wo waren sie jetzt? War dieser Mönch vielleicht unter Mühen und Gefahren denselben Schrecken entronnen?
    Der Schnee fiel jetzt dichter. Wie zwei dünne Vorhänge aus Gischt, geteilt durch seinen breiten Rücken, wehte er zu beiden Seiten an ihm vorbei, wie die Enden eines Schals aus Mousselin, der ihn vorwärts zog. Etwa viermal hatte er im Vorbeireiten Grüße mit anderen Menschen ausgetauscht, und die hatten es nicht mehr weit gehabt. Nur wem keine andere Wahl bleibt reist bei solchem Wetter.
    Es war dunkel, als er das Tor von Bromfield erreichte und die Fußbrücke über den kleinen Fluß Onny überquerte. Sein Pferd war abgekämpft. Es hatte Schaum am Hals und Schultern und Flanken zuckten irritiert. Erleichtert saß Cadfael im Schein der Fackeln im Torhaus ab und ließ einen Laienbruder die Zügel nehmen. Vor ihm lag der vertraute Hof, offener als der in Shrewsbury, und die Umrisse der Klostergebäude wurden hier und da vom goldenen Licht einer Fackel beleuchtet. Schwarz ragte die Marienkirche in der Dunkelheit auf. Angesichts der Bescheidenheit dieses Ortes wirkte sie groß und prächtig. Und aus dem Schatten der Gebäude kam Prior Leonard auf ihn zu, ein großer, langgliedriger Mann, der irgendwie wie ein Reiher wirkte: Er hatte den Kopf erwartungsvoll vorgereckt und seine Arme schlugen wie Flügel. Der Hof war tagsüber gewiß gefegt worden, aber schon war er wieder von einem dünnen, glatten Schleier aus Schnee überzogen. Morgen würden die Schuhe tief und knirschend darin einsinken, wenn der Wind nicht die Hälfte dessen, was er gebracht hatte, wieder davontrug.
    »Cadfael?« Der Prior war kurzsichtig, er mußte selbst im hellen Licht des Tages blinzeln. Aber jetzt tastete er nach der Hand, die ihm ausgestreckt wurde und erkannte sie am Griff.
    »Gott sei Dank, daß Ihr gekommen seid! Ich fürchte das Schlimmste für ihn... aber ein solcher Ritt... kommt herein, kommt herein, ich habe Euch ein Bett machen lassen und eine Mahlzeit ist auch bereitet. Ihr müßt hungrig
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