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Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall

Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall

Titel: Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
Autoren: Paul Williams
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EINS
    Wieder einmal stieg Adai von Jestan gegen Abend mühevoll die breiten, geschwungenen Steinstufen zum höchsten Turm hinauf. Die ausgetretenen Höhlungen im Stein zwangen sie, sich an der rechten Mauer festzuhalten, die Ringe an ihrer Hand klirrten gegen den Stein.
    Die beiden Gardisten warfen sich wissende Blicke zu, als sie die Station erreichte. »Noch nichts zu sehen, Jestana«, sagte der größere. »Nichts als leerer Fluß. Aber ehe die Woche um ist, werden die Sentani kommen.«
    »Die Sentani«, murmelte sie und beugte sich über die Nordmauer. Die Bäume waren bis auf die Eichen schon größtenteils kahl, und deren braune, noch haf-tende Blätter würden bald abfallen. Der Wind war kalt, und die untergehende Sonne glühte ziegelrot unter dem Rand einer dicken Wolkenschicht hervor.
    Die trockenen Gräser hoch oben auf dem Flußfelsen bogen sich im Wind zur Erde. Weit im Westen, jenseits des Flusses, und hinter den Sümpfen, nahe am Horizont, stieg die lange Rauchfahne eines Präriefeu-ers in den Himmel.
    »Die Shumai treiben die Wilden«, sagte sie.
    »Ziemlich spät für sie. Vielleicht ist es ein natürliches Feuer«, meinte der große Gardist.
    »Du brauchst mich nicht zu beruhigen, Tanbar«, erwiderte sie. »Es sind die Shumai.«
    »Vielleicht bleibt er den Winter über in Nordwall, Jestana.«
    »Seine Verbannung ist vorüber. Wer würde noch einen zweiten Winter in Nordwall verbringen, wenn er hier sein könnte? Es gibt wenig Metall zu bearbeiten. Es gibt nicht viel Zerstreuung, nur wenige Rollen zu lesen. Nein. Es ist etwas geschehen.«
    »Aber Jestak ist nicht einfach irgend jemand. Vielleicht möchte er wirklich bleiben. Möglicherweise bringen die Sentani eine Nachricht von ihm.«
    »Wie wäre das möglich? Sie würden ihm sicher etwas zuleide tun. Ich verstehe es nicht. Seit er zu den Städten im Osten gezogen ist, verstehe ich überhaupt nichts mehr. Nichts als Schwierigkeiten. Er hat doch sicher nichts so Schlimmes getan, daß er sich in Schweigen flüchten mußte, um sich zu schützen.«
    Damit wandte sie sich ab und ging.
    »Wir werden dich rufen lassen, sobald wir etwas sehen«, rief Tanbar. »Mach dir keine Sorgen. Vergiß nicht, er hat die Tätowierung.«
    »Die Tätowierung. Die Tätowierung. Das verstehe ich nicht. Wie ist er dazu gekommen? Wir schicken ihn nach Osten, damit er ausgebildet wird, eine große Chance, und dann kommt er zurück, herunterge-kommen und verwildert, zu spät und mit der Schlangentätowierung der Wilden. Von Nordwall kommt nichts als Schweigen, Rätsel, Botschaften von den Sentani, Andeutungen von Verbrüderungen mit den Shumai, diesen Mördern«, murmelte Jestana vor sich hin, während sie mühsam die gewundenen Treppen hinunterstieg.
    »Was für eine Tätowierung?« fragte der kleinere Gardist. »Willst du behaupten, daß Jestak das Zeichen der Sentani trägt? Wie ist das möglich?«
    »Ich weiß es nicht, Din. Ich habe es nur einmal gesehen, als ihn die Familie dafür, daß er die Jahre im Osten vergeudet hatte, nach Nordwall schickte. Es ist alles sehr sonderbar. Er hat seiner Familie sicher keine Ehre gemacht. Er ist anders geworden, unabhängig. Er ist kein Niemand mehr. Er hat geschwiegen, obwohl man ihn dafür zum Putzen verurteilt hat. Er geht seinen eigenen Weg. Er hat viel durchgemacht, das ist klar. Er ist anders als alle Pelbar, die ich jemals kennengelernt habe – obwohl ich mich erinnern kann, daß er einmal genauso ein Pelbar war wie wir alle.
    An dem Tag, als er nach Osten ging, verschwand das mit ihm, was er war. Als er schließlich zurückkehrte – zwei Jahre zu spät –, war er ein anderer Mann.«
    »Dann war er also sechs Jahre fort?«
    »Ja, beinahe. Er wollte nicht erzählen, was geschehen war. Alles, was die Familie wußte, war, daß er nicht die Rechte studiert hat, wozu man ihn mit so großen Kosten fortgeschickt hatte. Er wußte einiges, sicher. Aber nicht so viel, wie nötig war, um Handelsbeziehungen mit Innanigan oder Stanigan aufzunehmen. Und so bleiben wir hier in der Einöde, treiben nur mit Wilden Handel – wenn das möglich ist –, und das alte Wissen bleibt uns verschlossen.«
    »Wir haben unser eigenes Wissen. Ich war immer der Meinung, daß dieses Bestreben deiner Familie falsch war.«
    »Ja. Das hat wohl jeder hinter sich.«
    »Ist es nicht an der Zeit, daß wir alle erfahren, was mit Jestak geschehen ist? Die Jestan waren sehr zuge-knöpft in dieser Hinsicht. Nordwall ist unglaublich schweigsam. Es ist nicht gut, wenn
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