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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis
Autoren: Ellis Peters
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und müde sein.«
    »Laßt mich erst nach ihm sehen«, sagte Cadfael kurz und ging zielstrebig über den leicht ansteigenden Hof. Die breiten Sohlen seiner Stiefel hinterließen deutliche Spuren im frischen Schnee. Prior Leonard ging neben ihm. Er paßte die Schritte seiner langen Beine an die kürzeren seines Freundes an und redete weiter auf ihn ein.
    »Wir haben ihn in einem abgelegeneren Raum untergebracht, damit er mehr Ruhe hat. Es ist ständig jemand bei ihm. Er atmet, aber rasselnd, wie ein Mann, dessen Schädel gebrochen ist. Seit er hergebracht wurde, hat er nicht gesprochen oder die Augen geöffnet. Am ganzen Körper hat er Blutergüsse, und die werden schnell heilen. Aber jemand ist mit einem Messer auf ihn losgegangen, und er hat viel Blut verloren, wenn auch die Blutung jetzt gestillt ist. Hier entlang - in den inneren Räumen ist es nicht so kalt...«
    Das Krankenquartier lag etwas abseits und geschützt im Windschatten der massigen Kirche. Sie traten ein, schlossen die schwere Tür gegen die Kälte der Nacht, und Leonard ging voraus zu der kleinen, kargen Zelle, in der neben einem Bett ein Öllämpchen brannte. Als sie eintraten, erhob sich ein junger Mönch von den Knien und trat vom Krankenbett zurück, um ihnen Platz zu machen.
    Der Patient lag auf dem Rücken unter mehreren Lagen Decken, wie ein Mann auf dem Totenbett. Gewiß, er atmete, wenn auch nur unter größten Mühen, aber beim Einatmen hob sich die Decke auf seiner Brust nur kaum wahrnehmbar, und das Gesicht auf dem Kissen war bewegungslos. Die Augen waren geschlossen, die Wangen hohl unter den hervorstehenden Backenknochen blau verfärbt. Der Kopf, einschließlich der Tonsur, war bandagiert, und unterhalb des Verbandes war die Stirn geschwollen, und zwar derart, daß ein Auge fast verschwunden war. Es ließ sich schwer sagen, wie er normalerweise aussehen mochte, aber Cadfael nahm an, daß er kräftig gebaut und gewiß nicht sehr alt war, wahrscheinlich nicht älter als fünfunddreißig Jahre.
    »Es ist ein Wunder«, flüsterte Leonard, »daß keine Knochen gebrochen sind. Nur, möglicherweise, der Schädel... aber Ihr werdet ihn später gründlich untersuchen...«
    »Das werde ich besser jetzt gleich tun«, sagte Cadfael entschlossen. Er zog seinen Umhang aus, legte sein Bündel auf den Boden und machte sich ans Werk. In einer Ecke stand ein kleiner Ofen, aber als er die Hände unter die Decke steckte und Seiten, Oberschenkel und Füße betastete, fühlte er in dem Körper dennoch die Kälte des Todes. Sie hatten ihn wohl warm eingepackt, aber das war nicht genug.
    »Legt Steine auf den Kamin in der Küche«, sagte Cadfael.
    »Wenn sie erwärmt sind, schlagt sie in Wollstoff ein. Wir werden sie unter die Decke legen und auswechseln, sobald sie abgekühlt sind. Diese Kälte kommt nicht vom Frost, sondern von seinen Verletzungen, und wenn wir sie nicht vertreiben, wird er das Bewußtsein nie wieder erlangen. Ich habe gesehen, wie Männer infolge erfahrener Schrecken oder Grausamkeiten der Welt den Rücken gekehrt haben und gestorben sind und dabei hatten sie keine tödlichen Verletzungen erlitten. Habt Ihr versucht, ihm etwas zu Essen oder zu Trinken zu geben?«
    »Ja, aber er kann nicht schlucken. Sogar ein Löffel voll Wein rinnt ihm wieder aus dem Mund.« Dann mußte also der Kiefer gebrochen sein, zerschmettert durch Fausthiebe oder Keulenschläge. Wahrscheinlich waren ihm die Zähne ausgeschlagen worden. Doch nein - Cadfael hob vorsichtig die Oberlippe des Mannes an und sah die starken weißen Zähne.
    Sie waren regelmäßig, groß und fest zusammengebissen.
    Der junge Mönch war leise aus dem Raum gegangen, um dafür zu sorgen, daß in der Küche Steine oder Ziegel erhitzt wurden. Cadfael schlug die Decken zurück und untersuchte den nackten Körper von Kopf bis Fuß. Sie hatten ihn unbekleidet gelassen und mit einem Leintuch bedeckt, damit seine vielen Wunden und Abschürfungen nur vom glatten, reinen Stoff berührt wurden. Der Messerstich unter seinem Herzen trug einen festen Verband. Cadfael löste ihn nicht; zweifellos war jede Wunde sorgfältig gereinigt und versorgt worden. Er schob jedoch seine Finger unter die oberen Falten des Verbandes und tastete nach den darunterliegenden Knochen.
    »Damit wollten sie ihm den Garaus machen. Aber das Messer ist an der Rippe abgerutscht, und sie haben sich nicht die Zeit genommen, sich zu vergewissern, ob er tot war. Bei guter Gesundheit muß er ein starker Mann sein - seht euch nur seine
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