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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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Anziehung.
    Eine Krypta als Ort der Verbundenheit.
    Eine Treppe der Zärtlichkeit.
    Eine Kerze der Erinnerung.
    Eine beseelte Naumburger Kathedrale.

TEIL I – BASIS FÜR DIE
STANDHAFTIGKEIT
    Die Jahre 1018 bis 1019

1. DIE SCHNEEROSE
    Der Frühlingswind trug Blütenstaub von Hasel und Narzisse an Utas Nase heran. »Esiko, ich wünschte, diese Düfte zögen mit uns zur Burg, so dass die Mutter sie auch riechen könnte.« Genießerisch sog sie die Luft ein und streifte sich in Gedanken ein Gewand aus verwobenen Narzissen über. Sie spürte, dass heute ein ganz besonderer Tag werden würde. Gemeinsam mit Esiko, ihrem fünf Jahre älteren Bruder, durfte sie dem Mittagsmahl beiwohnen, zu dem der Meißener Markgraf geladen war. Mit Vorliebe lauschte sie bei solch seltenen Gelegenheiten den Erzählungen der Besucher, die stets von Königsaudienzen, Festen und anderen Geschehnissen aus fremden Gegenden berichteten.
    »Schwesterlein, du träumst zu viel!«, scherzte Esiko und führte sein Ross neben ihres. »Aber ich könnte das Grünzeug köpfen, dann kannst du es mitnehmen.« Unter ihrem entsetzten Blick zerteilte er die Luft zwischen ihnen mit dem Kurzschwert.
    »Tu ihnen keine Gewalt an«, bat Uta und schaute ihn herzerweichend an, während ihr der Wind durch das lose Haar fuhr. Sie merkte, dass er gereizt war, aber das würde sich während des Mahls sicherlich geben. Nur selten wurde auf dem Ballenstedter Burgberg so festlich getafelt.
    »Wie ängstlich du bist, Schwesterlein.« Esiko hob das Kinn.
    »Viel zu ängstlich!«
    Uta betrachtete den Bruder, wie er mit Harnisch und Beinschutz auf seinem Ross thronte, sein weizenblondes Haar und die festen Bartstoppeln.
    »Wir müssen zurück zur Burg.« Auch Esiko betrachtete die Schwester eindringlich. »Die Gäste reiten bald ein.«
    Uta begegnete dem Blick des Bruders mit einem Strahlen.
    »Wer zuerst an der Zugbrücke ist, einverstanden?«
    Esiko ließ von ihrem Gesicht ab und prüfte, ob sich beide Beine seiner Schwester auf der linken Seite des Tieres befanden. »Aber gerne doch!«, bestätigte er dann.
    »Dann los!« Uta presste sich fest an ihre Stute und preschte davon.
    Derweil beugte sich Esiko seitlich hinab und schlug mit einem einzigen Hieb zwei Dutzend Narzissen die Köpfe ab.
    »So gefallt ihr mir schon besser!«, beschied er und gab seinem Hengst die Sporen.
    Voller Freude atmete Uta tief durch. »Lauf Lisa, lauf!«, trieb sie die Stute an. Wie schön es doch war, durch die Frühlingswiesen zu reiten. Ein Vergnügen, das sie seit einiger Zeit immer seltener genießen durfte. Auch sonst hatte sich jüngst viel in ihrem Leben verändert. Denn war der Vater, Graf Adalbert von Ballenstedt, früher noch nach der Schneeschmelze zu den Schlachtfeldern aufgebrochen und erst bei einsetzendem Frost wieder heimgekehrt, war ihm dies aufgrund einer Kampfverletzung seit dem vergangenen Jahr verwehrt. In der Abwesenheit des Vaters hatte die Mutter ihr das Lesen und etwas Schreiben beigebracht und jede ihrer Fragen mit einer geduldigen Antwort befriedigt. Doch nun, seitdem der Vater ganzjährig auf der Burg weilte, musste Uta sich wesensmäßig das gesamte Jahr über zurücknehmen.
    Der mächtige Klang der Doppelglocke, der weit über die umliegenden Felder und Wiesen der Burg hinaus zu hören war, holte Uta aus ihren Gedanken zurück. »Die Glocke vom elterlichen Bergfried!« Dreimaliges Läuten war das Zeichen dafür, dass die Gäste am Horizont in Sicht waren.
    »Eil nur, Schwesterlein!« Esiko zog an ihr vorbei. »Mich holst du nie ein!«
    »Lauf Lisa, schneller!«, trieb sie ihre Stute an. So leicht würde sie sich nicht geschlagen geben. Doch Esikos Vorsprung vergrößerte sich, und erst vor der Zugbrücke stoppte er seinen Hengst mit einem triumphalen Aufbäumen. »Ob du jemals richtig reiten lernen wirst?«, kommentierte er die spätere Ankunft seiner Schwester heftig atmend.
    »Wenn ich doch nur breitbeinig reiten dürfte«, erwiderte Uta und schaute Esiko fragend an.
    »Aber du bist doch ein Weib!«, entgegnete er und winkte ab. Esiko achtete stets darauf, dass sie – wie es sich für eine Frau geziemte – nur mit Satteldecke und beiden Beinen auf ein und derselben Seite ritt.
    »Ich vermag vielleicht noch nicht so schnell zu reiten wie du, dafür kann ich aber Schriftzeichen lesen, die mit echter Tinte geschrieben sind.«
    »Was ist schon Tinte«, entgegnete er abfällig und versetzte seinem Pferd einen Tritt in die Seite, um es zum Eintraben in den Hof der
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