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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean
Autoren: Gerhard Roth
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    Als Ascher nach einer unruhig verbrachten Nacht (in der er eine am Vorabend auf dem Dachboden zwischen Maiskolben entdeckte Hacke neben sein Bett gelegt hatte) erwachte, fiel sein Blick auf den noch gepackten Koffer. Er erinnerte sich, daß er nicht imstande gewesen war, die Einladung des Hausvermieters zur Fasanenjagd auszuschlagen und daß ihn der Gedanke daran bis zum Einschlafen belästigt hatte, nun aber bei Tageslicht fand er sich damit ab. Auf diese Weise würde er die Bewohner der Gemeinde kennenlernen, auch würde es ihm erspart bleiben, sie einzeln anzulügen. Beim Ankleiden dachte er kurz an seine Frau und das Kind, dann trat er aus dem Haus. Wegen des Nebels konnte er nur bis zum nächsten Apfelbaum sehen. Er ging die Straße entlang zur Hügelkuppe, wo er einen Mann, der ihm mit einem Rucksack entgegenkam, nach dem Haus des Jagdleiters fragte, jedoch verstand er seine Auskunft nicht, schloß aber aus der Handbewegung, daß er sich auf dem richtigen Weg befand.
     
    Gerade als er den gesuchten Hof erreicht hatte, schleppte ein Jäger mit einem breiten Hut einen Rehbock vom Kofferraum eines abgestellten Autos zum Misthaufen. Der Rehbock trug schon das graue Winterfell. Jetzt erkannte Ascher eine Gruppe von anderen Jägern, die sich im Nebel zusammengestellt hatte. Wie er ihren abfälligen Reden entnehmen konnte, hieß der Jäger August Rogy. Ascher war ja in der Absicht gekommen, die Bewohner kennenzulernen, darum achtete er besonders auf Namen. Jemand brachte einen blauen Emailkübel mit heißem Wasser und einen Fetzen, und der Jäger hatte die Jacke in das Gras gelegt und begonnen, den Bock auszuweiden. Aschers Hausvermieter, der Zeiner hieß, war hinzugetreten, hatte einen Blick auf den Rehbock geworfen und eine gelangweilte Bemerkung gemacht, wobei er Ascher entdeckt hatte. Er erklärte den anderen respektvoll und nicht ohne eine gewisse Vertraulichkeit, Ascher sei Biologe am Max-Planck-Institut in Deutschland und halte sich hier wegen einer bei seinen Forschungsarbeiten zugezogenen Viruserkrankung auf, bis es ihm seine Gesundheit erlaube, nach Deutschland zurückzukehren. Mit dieser Erklärung gaben sich die Jäger zufrieden. Rundherum lag brauner, von der Sonne durchleuchteter Nebel. Die Jäger hatten Gürtel mit dicken Schrotpatronen um den Bauch geschnallt. Über den Hügelkuppen breitete sich goldener Dunst aus.
    Hier werde ich also lange bleiben müssen, dachte Ascher ohne Freude. Auf einer rotlackierten Futterschneidemaschine sah er ein Gewehr liegen.
    »Es ist ein gutes Gewehr«, sagte Rogy und nahm es in die Hand.
    Sie stiegen in die Autos und kamen zuerst ins Tal nach Unterhaag, wie das Dorf, so sagte Zeiner, hieß. Unterwegs fuhren sie an den Maishaufen vorbei, die als kegelförmige Schatten gegen die Sonne standen. Auch die Baumkronen der Obstbäume waren von Nebellicht durchleuchtet oder ragten aus der grauen Luft wie Schattenrisse. An den Heuhütten und Stallungen klebten Parteiplakate mit den Köpfen von Politikern. Die Plakate der Volkspartei zeigten den Kopf des Landeshauptmannes, auf den Plakaten der Sozialdemokraten war der stellvertretende Landeshauptmann zusammen mit dem Bundeskanzler abgebildet.
    »Wie werden die Wahlen ausgehen?« fragte Hofmeister. »Die Sozialisten werden verlieren«, sagte Ascher. »Er ist Gemeinderat der Volkspartei«, erklärte Zeiner und deutete auf Hofmeister.
    »Interessieren Sie sich für Politik?« fragte Hofmeister. »Ich bin Sozialdemokrat.«
    Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Hofmeister: »Das macht nichts. Jeder soll nach seiner Überzeugung wählen.«
    Ascher warf einen verstohlenen Blick auf Hofmeister. Das erste, was ihm aufgefallen war, waren seine schlechten Zähne. Er war mittelgroß und schlank bis auf einen Spitzbauch. Sein Gesicht war blaß, an den Augenwinkeln hatten sich Fältchen gebildet, seine hellen Lippen waren rissig. Wenn Hofmeister sprach, arbeitete sein Körper automatisch mit.
    Beim Lachen krümmte er sich, bei Fragen hoben sich die Augenbrauen, wollte er jemandem stummes Einverständnis bezeigen, schloß er die Augen und nickte rasch hintereinander, beim Beschwichtigen zog er die Augenbrauen herunter, senkte den Kopf und stellte ihn etwas schief, dachte er nach, stand er kreuzhohl und streckte seinen Spitzbauch heraus, um plötzlich beim Sprechen seinen Körper zu verbiegen. Das aber fiel Ascher erst während der Jagd auf. Hofmeister hatte ein kleines Anwesen, drei Söhne und war mit der Schwester Zeiners verheiratet.
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