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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean
Autoren: Gerhard Roth
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Er arbeitete im Schichtbetrieb in einem Ziegelwerk bei Gasselsdorf, das dem Bruder eines verstorbenen Landeshauptmannes gehörte. Zeiner hatte dunkles, volles Haar, eine runde Nase und große staunende Augen. Seine Hände waren breit, sein Körper war kräftig. Er konnte, das hatte Ascher in den wenigen Worten, die er mit Zeiner gewechselt hatte, gespürt, rasch und schlagfertig antworten und sich über andere lustig machen. Zeiner trug das Handgelenk eingebunden, er war fünf oder sechs Jahre Fahrer bei einem Transportunternehmen gewesen, nun versuchte er eine kleine Rente zu bekommen, die er mit seinem arthrotischen Handgelenk begründete, um endgültig zu Hause bleiben zu können. Er hatte für fünf Personen zu sorgen, auch er besaß eine nicht große Landwirtschaft: Maisäcker, eine Ribiselkultur, ein paar Kühe, einige Schweine und ein Pferd.
    Sie bogen von der Straße ab und überquerten die Saggau, deren dunkles Wasser langsam dahinfloß. Hinter der Brücke warteten sie dann im Nebel auf die anderen Jäger. Sie waren durch zwei Ortschaften gefahren, in denen Menschen mit Körben voll Feldfrüchten und Obst zum Erntedankfest zusammengekommen waren. Durch den Nebel hörten sie von weitem die Musikkapelle spielen, und Ascher sah noch die festlich in Trachten oder dunkle Anzüge und Kostüme gekleideten Menschen vor sich, die die Straße entlanggegangen waren und sich vor einem Rüsthaus getroffen hatten.
    Er dachte wieder an seine Frau und das Kind. Seit kurzem arbeitete seine Frau in einem Versicherungsbüro. Anfangs hatte sie darüber geklagt, zuletzt hatten sie aber nicht mehr darüber geredet. Obwohl sie es nur ungern sah, hatte sie ihm geraten, auf das Land zu ziehen. Er hatte ihr allerdings versprechen müssen, auf sich achtzugeben. Die Musik war inzwischen verstummt, und die Jäger standen herum und beratschlagten. Einer der Jäger sagte nach einer Pause: »Wir warten.«
    Ascher blickte zur Sonne auf, die nur ein greller Fleck im Nebelhimmel war. Wieder begann die Musik zu spielen, dann läuteten die Kirchenglocken. Endlich hörten sie das Auto herankommen. Sie gingen unter den gelben Eichen zu einer Wiese mit Heugestellen – dahinter lagen die Maisfelder. Unter der Brücke war Gerümpel angeschwemmt. »Beim nächsten Hochwasser ist die Brücke weg«, sagte Zeiner. Zuerst lag ein frisch abgeerntetes Feld vor ihnen mit großen Flecken bleicher Maisfedern, dann folgten umgepflügte Äcker, neben denen ockerfarbene Maisfelder lagen, schließlich langgedehnte Stoppeläcker. Aus dem Nebel hörte Ascher eine einzelne Trompete, aber die Jäger beachteten sie nicht. Gleich darauf hatten sie das erste Maisfeld erreicht, und nachdem sie es umstellt hatten, wurden die Hunde hineingelassen. Sie verschwanden mit großen Sprüngen zwischen den raschelnden Stengeln, wurden von den Jägern gerufen, angetrieben und getadelt, die Jäger selbst standen im Abstand von zwanzig Schritten mit dem Gewehr in der Hand, die Läufe nach oben gerichtet. Vögel zwitscherten. Ascher dachte sofort an seine eigene Lage, als die Hunde in das Maisfeld gehetzt waren. Andererseits war er jetzt in Sicherheit. Warum sollte man sich für sein Leben interessieren? Durch welchen Zufall konnte man erfahren, wer er war? Die Stadt lag mehr als fünfzig Kilometer entfernt, und seine Frau hatte sich mit ihm geeinigt, ihn nicht zu besuchen, um keine Anhaltspunkte zu liefern. Jetzt erst bemerkte er, daß ihm der Jagdleiter schon zum zweiten Mal eine Frage gestellt hatte. Aber er hatte ihren Sinn noch immer nicht verstanden. Er lächelte daher als Antwort und nickte zustimmend. Die Jäger hatten aufgehört, nach den Hunden zu schreien, um nicht während der Jagd heiser zu werden. Sie pfiffen statt dessen auf den Fingern. Nachdem das Maisfeld vergeblich von den Hunden durchsucht worden war, was Ascher mit Erleichterung bemerkte, wurde das nächste Feld umstellt. Als er in den letzten Wochen über seine Zukunft nachgedacht hatte, war ihm plötzlich eingefallen, daß ihn jene Menschen am meisten beeindruckt hatten, die ihr Leben führten, ohne sich selbst dauernd in Frage zu stellen. Auch die Bewohner der Gemeinde kamen ihm arglos vor. Ihre Arglosigkeit entsprang wohl ihnen selbst. Über den umgepflügten Äckern lag eine Dampfschicht. An den Drahtzäunen sah er Ketten von durchsichtigen Wassertropfen hängen, die manchmal rosa gefärbt waren, wenn der Zaun rostig war. Sie stapften durch ein von einem Mähdrescher abgeerntetes Maisfeld, die Stengel
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