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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean
Autoren: Gerhard Roth
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drüben«, sagte Hofmeister.
    Sie fuhren jetzt an Obstbäumen vorbei, deren Stämme weiß gekalkt waren.
    Nachdem sie das nächste Maisfeld ohne Erfolg umstellt hatten – zwei Jäger hatten einen auffliegenden Hahn, der mit schwerfälligen Flügelbewegungen über sie hinweggeflogen war, verfehlt –, gingen sie quer über eine weite, abgemähte Wiese an schwach belaubten Bäumen und Sträuchern vorbei zurück zur Saggau. Plötzlich fielen Schüsse. Die Jäger schrien »Hahn«, Ascher blickte zur Waldschneise, aus der der Fasan geflogen kam, und Zeiner, der sich neben ihm befunden hatte, traf den Vogel im Flug, daß Federn durch die Luft wirbelten. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde der Fasan durch die Wucht der Schrotkugeln in die Höhe gerissen, dann stürzte er zu Boden, als sei es vermessen gewesen, daß er jemals versucht hatte zu fliegen. Es war Ascher, als sei der Fasan jetzt dort, wo er hingehörte. Schrotkugeln waren neben ihm auf die Blätter geprasselt. Ascher dachte daran wie an etwas lange Zurückliegendes. Das Maisfeld, aus dem der Hahn aufgeflogen war, lag auf der anderen Seite eines kleinen Baches. Daneben stand ein Haus, ein Anzug hing zum Auslüften auf einer Stange vor einem Fenster. Später begegneten sie zwei hübschen, weiß und blau gekleideten Mädchen. Ascher nahm an, daß sie von der Erntedankprozession kamen. Seine Tochter Katharina war acht Jahre, also im gleichen Alter wie eines der Mädchen. Wahrscheinlich saß sie zu Hause in der Wohnung und langweilte sich.
    Einige Jäger lungerten inzwischen unter Obstbäumen herum und schossen auf Äpfel. Ascher war müde, ließ sich jedoch nichts anmerken. Nachdem das letzte Maisfeld durchsucht worden war, schrie der Jäger überdrüssig: »Ende! Ende!« Sie nahmen Ascher ein Stück mit, den Rest des Weges ging er zu Fuß.
     

2
     
    Es war ein warmer Herbsttag geworden. Äpfel fielen raschelnd durch das Gezweig und klopften auf den Boden. Als er am Vortag aus der Stadt weggefahren war, hatte im Garten hinter dem Mietshaus die Asche in der Wiese noch geglost, davor waren die eiserne Gießkanne und der Laubrechen der Hausmeisterin gelegen. Dann hatte ihn seine Frau zum Bahnhof gebracht.
    »Du fährst jetzt also«, hatte sie gesagt. »Ja, ich fahre jetzt«, hatte er geantwortet. Der Abschied war ihm schwergefallen. Die Eisenbahn, in die er gestiegen war, hieß »Der Rote Blitz«. Der Zug verkehrte mehrmals am Tage von Köflach über Graz nach Wies und zurück. An seinem Namen stimmte nur die Farbe. Er fuhr kaum schneller als eine Straßenbahn und hielt in jeder winzigen Ortschaft. Zumeist stiegen dort zwei oder drei Passagiere aus und immer weniger ein. Es war Nachmittag gewesen, und Ascher war zwischen Lehrmädchen, Schülern und Pensionisten gesessen. Das Quälende war für ihn gewesen, daß der Zug so langsam dahinfuhr. So konnte er das Abschiedsgefühl nicht loswerden. Als er die Schüler sah, hatte er sich um Katharina Sorgen gemacht. Wenn er an ihren Schulweg dachte, befürchtete er immer, es könne ihr etwas zustoßen. Auch seine Frau hatte sich gesorgt. Zumeist waren sie vor dem Einschlafen wach beisammen gelegen und hatten sich in der Dunkelheit erzählt, was vorgefallen war. Häufig sprachen sie über ihr Kind, und er hatte ihr gern zugehört, wenn sie von ihrem Tagesablauf erzählt hatte. Zuletzt aber hatte sie in dem Büro gearbeitet, und das Kind war ein paar Stunden nach Mittag allein zu Hause und aß in der Küche das Vorgekochte. Ascher litt unter der Vorstellung, daß in dieser Zeit niemand da war, der sich um es kümmerte. Sie waren auf das offene Land gekommen. Die Maisfelder, durch die der Zug jetzt fuhr, sahen vertrocknet aus. Es war ein regenarmer Herbst, aber Ascher hatte das in der Stadt nicht bemerkt. In den Mischwäldern waren ihm die Laubbäume als gelbe Flecken zwischen dem dunklen Grün der Nadelbäume aufgefallen. Aschers Koffer war so groß, daß er nicht in das Gepäcknetz paßte, so hatte er ihn auf dem Gang zwischen den Sitzen abgestellt und mußte ihn jedesmal auf die Knie nehmen, wenn jemand bei einem Zughalt an ihm vorbeigehen wollte.
    Vor der kleinen Bahnstation von Gleinstätten hatten Zeiner und dessen Schwager Golobitsch schon auf ihn gewartet. Ascher hatte eine Kiste mit Büchern und Medikamenten einen Tag zuvor mit der Bahnpost aufgegeben, und Golobitsch und Zeiner halfen ihm beim Tragen. Später erfuhr er, daß Golobitsch mit der Frau von Zeiners verstorbenem Bruder, einem Dachdecker, der vor drei oder
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