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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean
Autoren: Gerhard Roth
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habe man das Gefühl gehabt, er würde keinen Widerstand leisten. Der Oberstleutnant sei geschickt gewesen, habe mit Kopfnicken sein Vertrauen gewonnen und zumeist vorgegeben, als verstünde er ihn. Dann habe er überraschend Fragen gestellt, die ihn in die Enge getrieben hätten. Seine Antworten hätte er wieder mit Kopfnicken oder fragendem Kopfwiegen begleitet, wodurch Lüscher jedesmal gewußt habe, wie seine Darstellungen aufgenommen wurden, das hätte ihm das Sprechen erleichtert. Er hielt vor dem Gasthaus in Wuggau an und fragte Ascher, ob er einen Augenblick warte, er wolle nur eine Kiste Bier holen. Ascher nickte, und der Gendarm stieg aus. Im Sägewerk am Ufer der Saggau wurde gearbeitet, und Ascher konnte sehen, wie sie die Baumstämme mit einem kleinen Kran in die Halle hoben, in die Sägemaschine einspannten und dann durch die Gattersäge laufen ließen. Der Baumstamm fuhr, in Bretter geschnitten, auf der anderen Seite wieder heraus und wurde von zwei Arbeitern auf Stapel geschichtet. Nach einer Weile kam der Gendarm mit einer Kiste Bier, stellte sie in den Kofferraum und setzte sich zu Ascher. »Überall fragen sie nach Lüscher«, sagte er, als er den Wagen startete. Er drehte um, wobei er angestrengt durch das rückwärtige Fenster schaute. Ascher sagte, der Weg sei frei. »Danke, ich sehe schon«, antwortete der Gendarm und setzte sich gerade. Die Strecke führte nun steil bergauf. »Der Oberstleutnant war wirklich sehr geschickt«, sagte der Gendarm. Er lächelte, als ob er mit sich selbst sprach und alles an seinem inneren Auge vorbeiziehen ließ. Als Lüscher beteuert habe, daß er seine Tat nicht vorsätzlich begangen habe, habe ihn der Oberstleutnant gefragt, ob er das Gewehr zwar angelegt habe, dieses jedoch von selbst losgegangen sei. Lüscher habe geantwortet, er habe so gezittert. Daraufhin habe ihn der Oberstleutnant gefragt, ob das dreimal der Fall gewesen sei, und Lüscher habe entgegnet, er habe nicht mehr gewußt, was er tue. Das habe der Oberstleutnant zu Protokoll nehmen lassen.
    An einem Zaun standen zwei Männer und unterhielten sich, sie brachen das Gespräch ab, als sie den Gendarmen erkannten und grüßten ihn mit einer Handbewegung. Auch der Gendarm hob die Hand. Andererseits, sagte der Gendarm, sei es äußerst schwierig gewesen, mit Lüscher zu sprechen. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Er sei so aufgeregt gewesen, zum Teil sei er ganz außer sich gewesen. Manchmal habe er mit beiden Händen heftig gestikuliert und seine Opfer als Lumpen bezeichnet, worauf ihn der Oberstleutnant habe rügen müssen. Lüscher jedoch habe die Rüge übergangen und angefangen zu erklären, daß er hineingelegt worden sei. Er habe nur immer geschuftet und gezahlt, aber die anderen hätten kassiert und ihn auch noch dafür ausgelacht. Daraufhin habe ihn der Oberstleutnant gefragt, wo man denn hinkäme, wenn es ein paar Tausender rechtfertigen würden, Menschen umzubringen, Lüscher habe hierauf zurückgefragt, ab wieviel Tausendern man das rechtfertigen könne. »Mich interessiert nur, wie alles vor sich gegangen ist«, habe ihm der Oberstleutnant geantwortet. Er hätte gewartet, bis Lüscher sich beruhigt habe und sich dann dem Tathergang, wie es der Gendarm nannte, zugewendet. Sie waren jetzt auf dem ersten größeren, bewaldeten Hügel angekommen, und die Straße führte eine Zeitlang auf der Kuppe entlang. Unter ihnen lagen die kleinen Hügel mit Häusern, aus deren Kaminen Rauch aufstieg.
    »Das Wetter wird schön bleiben«, sagte der Gendarm. »Ja, es ist wie im Frühling«, antwortete Ascher. »Nur, daß es früher dunkel wird«, wandte der Gendarm ein. Die Wolken verfärbten sich in der Dämmerung. »Ich habe den Eindruck«, sagte der Gendarm, »daß Lüscher sich auf der Flucht zurechtgelegt hat, er habe alles vergessen.« Er habe angegeben, erst von einem jugoslawischen Major erfahren zu haben, daß er drei Menschen getötet habe. Wegen einem »Scheu« wisse er nichts mehr davon. Unter »Scheu« habe Lüscher, wie er dem Oberstleutnant mitgeteilt habe, eine »Todesangst« verstanden, »die ihm den Schweiß ins Gesicht getrieben« und ihn »weglaufen lassen habe«. Schließlich habe er folgendes als Erinnerung zugegeben: Als er Egger im Weinkeller überrascht habe, sei Lüscher im Laufschritt auf ihn zugekommen. Auf einmal habe es einen Knall gegeben und er sei tot umgefallen, worauf Lüscher habe weg wollen. Aber da sei ihm seine Frau entgegengekommen und habe ihn »Kanaille«
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