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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean
Autoren: Gerhard Roth
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Fertigzuständen aufgestapelt, ein Hobel lag auf einem Haufen Zierleisten.
    »Ich habe die Tischler nach Hause geschickt, heute ist es unmöglich zu arbeiten«, sagte der Sohn. Er öffnete die nächste Tür, hinter der sich in einem Flur neben einem Bestattungswagen eine Schar von Männern unterhielt. Einer von ihnen, flüsterte ihm der Bestatter zu, war der Bürgermeister. Er sagte gerade zu einem Kriminalbeamten, Lüscher habe sich nach dem verlorenen Prozeß vor vierzehn Tagen bei ihm über Egger und Herbst und das dritte Vereinsmitglied beschwert, er habe dem aber keine Bedeutung beigemessen, da Lüscher ein fleißiger und ›ordentlicher‹ Mann gewesen sei. Bei der Bevölkerung sei er nicht unbeliebt gewesen. In seiner Jugend habe man ihm den Selbstmord seines Vaters vorgehalten, doch habe er wegen seines soliden Lebenswandels Ansehen bei den Dorfbewohnern genossen. Er habe allerdings immer Ungerechtigkeiten in sich hineingefressen und sich Dinge, über die andere mit einem Scherz hinweggegangen seien, sehr zu Herzen genommen. Der Bürgermeister war groß und kräftig und leicht gebückt. Er hatte volles, graues Haar und helle Augen, und sein sorgenvoller Blick ruhte auf Ascher und dem Sohn des Bestatters, während er sprach. Es war jedoch kein prüfender Blick. Ascher hatte das Gefühl, daß es ihm recht war, andere Menschen als Zuhörer zu haben, um sich durch die Ereignisse nicht zu falschen oder übertriebenen Behauptungen hinreißen zu lassen. Die Kriminalbeamten, die neben ihm standen, rauchten und nickten. Dann fragte ein mittelgroßer, glatzköpfiger Mann mit einem großen Siegelring, ob er annehmen könne, daß Lüscher sich selbst töten würde. »Es könnte ja sein, daß ihm klar wird, was er angestellt hat«, sagte er. Der Bürgermeister zuckte mit den Achseln. »Ich meine, es ist unwahrscheinlich, daß er entkommen kann«, fragte der Polizist weiter.
    »Das weiß ich nicht«, sagte der Bürgermeister. »Das ist Angelegenheit der Gendarmerie.« Er machte einen verbindlichen, aber niedergeschlagenen Eindruck. Natürlich wollte er sich nun bewähren und zeigen, daß er Herr der Lage war, aber Ascher sah, daß ihn die Plötzlichkeit des Ereignisses und auch das Ausmaß des Verbrechens beeindruckten. So hatte er das Gefühl, daß es dem Bürgermeister wohltat, wenn ihn jemand grüßte oder ihm zu verstehen gab, daß er um sein Amt nicht zu beneiden sei. Ascher ging ein paar Schritte bis zur Tür und blickte in einen verfliesten Raum, der grell beleuchtet war. Auf einem eisernen Tisch lag der Körper eines Mannes. Ein dicker Arzt mit randloser Brille wusch sich gerade die Hände. Zwei Männer in Mänteln und Pelzschuhen, die streng auf Ascher blickten, kamen auf ihn zu und fragten ihn, was er suchte. Ascher entschuldigte sich.
    »Es gibt nichts zu entschuldigen«, unterbrach ihn einer der Männer und schloß die Tür. Etwas von trauriger Verachtung lag in seiner Stimme.
    »Wollen Sie nicht an der Obduktion teilnehmen?« fragte der Bestatter im selben Augenblick. »Ich kann mit dem Gerichtsarzt sprechen. Er wird froh sein, wenn Sie ihm helfen.« Ascher wehrte ab, merkte aber, daß der Bestatter enttäuscht war. Er trug noch immer den offenen Mantel, ein Krümel von der Käsesemmel klebte in seinem Lippenbart. »Ich würde es mir nicht entgehen lassen«, sagte er. Der Sohn hatte sich inzwischen in den verfliesten Raum begeben, und der Bestatter folgte ihm, nachdem er an Ascher keinen Hinweis auf ein Zögern entdeckt hatte.
    Die Menschen vor dem Büro wirkten ziellos und als warteten sie auf eine Auskunft, die ihnen alles erklären würde. Unter den Arkaden lag noch immer das Gerümpel, auch der Botanische Garten hatte sich kaum verändert. Die Äste der Trauerweide glänzten vor Feuchtigkeit. Ascher ging bis zur Straße. Nach einer Weile wurde er müde und hielt einen Lastwagen auf, der Kohlen transportierte und ihn bis Oberhaag brachte. Der Fahrer hatte vom Verbrechen gehört, wollte aber Genaueres wissen.
    »Es war ein Fehler, daß sie die Todesstrafe abgeschafft haben«, sagte er zum Schluß.
     

30
     
    Schon nach vier Uhr wurde es dunkel. Ascher hatte sich im Gasthof ein Zimmer genommen und frische Socken und Seife beim Wirt gekauft.
    Am Nachmittag hatte er wieder zurück wollen, er hatte jedoch niemanden gefunden, der ihn hätte fahren können, und es war zu rasch dunkel geworden, um zu Fuß zu gehen, daher hatte er sich entschlossen zu bleiben. Er hatte ein heißes Bad genommen und sich im Zimmer
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