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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean
Autoren: Gerhard Roth
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zusammen, und sein Gesicht wurde ausdruckslos. Ohne ihn anzusehen, fragte er ihn, ob er mit ihm kommen wolle. Die ganze Sache, betonte er, sei für einen Arzt ›von Interesse‹, er könne sich vorstellen, daß er ›eine derartige Angelegenheit‹ nicht oft ›zu Gesicht bekomme‹. Das sagte er eher in einem vorwurfsvollen als wichtigen Tonfall, wenngleich Ascher auch diesen heraushörte. Ascher stand auf und wollte bezahlen, aber der Wirt wehrte ab. »Lassen Sie es heute«, widersprach er. Sie gingen zur Tankstelle, und Ascher setzte sich zum Bestatter in den schwarzen Wagen. Beim Auftanken fuhr der Bestatter – nicht ohne Stolz, wie es Ascher vorkam – fort, daß die Kriminalpolizei, die Gendarmen, Journalisten und ein Gerichtsmediziner auf seinem Hof seien, um die Untersuchung der Opfer abzuwarten. »Ich habe alle gekannt«, sagte er, bevor er noch einmal ausstieg und bezahlte. Ascher blieb neben dem verwaisten Lenkrad sitzen und wartete, bis der Bestatter zurückkam. Er hatte jetzt Lust, im Freien herumzuspazieren, der schmelzende Schnee hatte etwas von Frühling, und die Luft war warm. Der Bestatter setzte sich wieder in den Wagen, und sie fuhren durch das menschenleere Dorf in Richtung Arnfels. Unterwegs begegneten sie Fahrzeugen mit Neugierigen, die vom Verbrechen gehört hatten und den Schauplatz mit eigenen Augen sehen wollten. Einmal wurden sie von einem Gendarmerieposten aufgehalten. Der Wagen war überheizt, so daß es ihm angenehm war, als der Bestatter das Fenster hinunterkurbeln und seine Papiere durchreichen mußte. Die Sonne schien noch immer, und Ascher kam es immer unsinniger vor, in einem Auto zu sitzen und unbekannte Tote anzusehen. Als sie von der Straße zum Haus des Bestatters abbogen, war der Hof voller Fahrzeuge und Menschen. Einige standen auf der Verladerampe und blickten zum Büro des Bestatters, ein paar lachten gerade über irgendeine Bemerkung. Sie machten, ohne sich nach dem Auto umzudrehen, Platz. Die meisten waren aus der Stadt, und Ascher kamen sie in ihren Mänteln und Hüten und feinen Schuhen wie verkleidet vor. Er mußte dagegen ankämpfen, sie nicht lächerlich zu finden und zu verachten. Sie fuhren langsam bis zum Lebensmittelgeschäft, hielten und stiegen aus. Der Bestatter, der – wie er Ascher erzählt hatte – den Auftrag übernommen hatte, die Särge auszusuchen, denn das Begräbnis würde von der Gemeinde bezahlt, eilte ihm voraus zum Eingang eines der Gebäude. Er war zuvor kurz im Lebensmittelgeschäft verschwunden und gleich darauf mit einer Käsesemmel wieder herausgekommen, die er aß. Er entschuldigte sich dafür bei Ascher, durch den ›Vorfall‹, wie er es nannte, sei sein gesamter Tagesablauf durcheinandergekommen. Ascher antwortete, daß er das verstünde. Er führte Ascher zuerst durch einen kleinen Raum mit einer Steinbank, einem Waschbecken und einem Handtuch, das vergessen an einem Nagel hing. Hier habe er sich früher auf eine Bestattung vorbereitet, sagte der Mann, auch Einkleidungen vorgenommen. Er hob eine Zeltplane in die Höhe und ließ Ascher einen Blick auf das werfen, was darunter verborgen war. Es handelte sich um eine schwarze Kutsche mit einem gläsernen Sargbehälter; anstelle eines Sarges waren jedoch eine schwarze Uniform und ein Federhut im Wagen. Kaum hatte Ascher einen Blick auf die Kutsche geworfen, als der Bestatter die Zeltplane wieder fallen ließ und ihm vorauslief. Über eine Holztreppe kletterten sie auf einen winkeligen Dachboden, wo verschiedene Särge an der Wand aufgestellt waren.
    Zuerst kleinere, mit Silberpapier überzogen, wobei jeder folgende um ein Stück größer als der vorhergehende war, dann große Holzsärge, ein amerikanischer Plastiksarg und schließlich der ›Patentsarg‹ des Bestatters, den er ihm hastig erklärte. Er beabsichtigte damit, die Verwesung hinauszuzögern, führte er aus und sei sicher, daß sich sein Patent eines Tages durchsetzen werde. Er war unentschlossen, welches der Modelle er verwenden sollte. Schließlich entschied er sich für eines mit gelben Brettern und Zierleisten, machte kehrt und stürzte über den Hof in sein Büro. Einmal drehte er sich um und wartete, bis Ascher ihm durch die Menschen gefolgt war, dann beeilte er sich wiederum so, daß er schon an seinem Schreibtisch saß, als Ascher eintrat. »Das ist mein Sohn«, sagte der Bestatter und wies mit der Hand auf einen lächelnden großen Mann, der in der Tür zur Tischlerei stand. Dort waren Särge in den verschiedenen
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