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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean
Autoren: Gerhard Roth
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auf das Bett gelegt. Dabei war er eingeschlafen. Später hatte er die Balken geöffnet und auf die Straße hinausgeschaut. Durch den Ort patrouillierte gerade ein Gendarmeriefahrzeug, sonst sah er niemanden. In vielen Häusern brannte kein Licht. Die Balken waren geschlossen, und die Menschen schienen in der Dunkelheit darauf zu warten, daß etwas geschehen würde. Es war knapp vor sieben Uhr.
    »Jetzt kommt es ihnen erst zu Bewußtsein«, hatte der Wirt gesagt, als Ascher in den Gastraum gekommen war. Gerade hatten sich zwei Journalisten einquartiert, die Berichte in die Stadt telefonierten. Der Wirt hatte noch immer das Gewehr neben der Eingangstür liegen, und hinter der Theke hielt er, wie er Ascher zeigte, eine Pistole bereit. Er war froh, daß er sich mit ihm unterhalten konnte. Zuerst hörten sie im Radio einen Bericht, dann fuhr der Bürgermeister mit einem Lautsprecherwagen auf der Straße vorbei und forderte die Bevölkerung auf, die Häuser nicht zu verlassen. Er wiederholte, daß alle bewacht würden. Es bestünde kein Grund zur Panik. Nach dem Bericht im Radio schaltete der Wirt den Fernseher ein. Die Frau des Wirtes, die Ascher zum ersten Mal sah, war in einem weißen Mantel aus der Küche getreten und hörte wortlos zu. Es waren einige Fotografien von der Ortschaft, den Gendarmen und den Opfern zu sehen, und sie erfuhren, daß die Suche von der Gendarmerie ergebnislos abgebrochen worden war und daß man sich auf die Bewachung ›der Bedrohtem in der Ortschaft beschränkte. Am nächsten Tag würde die Suche fortgesetzt, auch die jugoslawischen Behörden seien verständigt. Nach dem Ende des Berichts sagte der Wirt: »Sie haben den ganzen Wald durchkämmt. Es ist fast unmöglich, daß sie ihn nicht entdeckt haben. Entweder hat er sich erschossen oder er ist zurückgekommen und versteckt sich. Wer sagt, daß er sich im Wald verborgen hält? Vielleicht ist er zurückgekommen. Es gibt eine Menge Scheunen, Heustadel und aufgelassene Häuser.« Eine Weile redete er mit den Journalisten, die inzwischen aus ihren Zimmern gekommen waren, über Verstecke. Sie hörten ihm zu und tranken dabei. Sonst war niemand im Gastraum. Die Journalisten fragten den Wirt nach allem möglichen aus und nickten, warfen sich aber – wie Ascher bemerkte – ab und zu ein kurzes Lächeln zu. Vor allem wollten sie über Lüscher Bescheid wissen, der Wirt zuckte jedoch nur die Schultern und fragte: »Was soll ich Ihnen sagen?« Er wiederholte, daß Lüscher ›nichts Besonderes‹ gewesen sei. Andererseits sei er mit ihm nicht allzu gut bekannt gewesen, da Lüscher Gasthäuser gemieden habe. Hierauf begannen sie über Politik zu sprechen, nachdem einer der Journalisten den Wirt nach der Zusammensetzung des Gemeinderates gefragt hatte.
    Ascher fiel auf, daß es ihnen in Wirklichkeit nicht um Auskünfte zu tun gewesen war. Sie langweilten sich. Wie Falschspieler stießen sie sich mit dem Fuß unter dem Tisch an oder schnitten Gesichter, wenn der Wirt gerade den anderen anschaute. »Wir haben immer wenig Sozialisten hier gehabt«, hatte der Wirt geantwortet. »Im Gemeinderat sind nie mehr als fünf von fünfzehn gesessen, auch bei den Landtagswahlen bekommen sie nicht viele Stimmen.« Im übrigen interessiere er sich nicht für die Politik. Er habe eine Fischzucht begonnen und führe das Gasthaus, das reiche ihm – »wie Sie sich denken können«, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu. Er unterhielt sich gerne mit den Journalisten, wahrscheinlich redete er überhaupt gerne. Ascher ging kurz darauf in sein Zimmer.
    Ab und zu fuhr ein beleuchtetes Auto auf der Straße vorbei, nirgendwo sah er ein Licht brennen. An der Dorfeinfahrt parkte ein Gendarmeriewagen, und zwei Gendarmen mit umgehängten Maschinenpistolen kamen langsam die Bundesstraße hinauf.
     

31
     
    Als Ascher zum Frühstück den Gastraum betrat, waren die Balken geöffnet, das Gewehr lag nicht mehr neben der Tür, auch die Balken der übrigen Häuser waren geöffnet, und die Menschen gingen ihrer Arbeit nach. Der Wirt kam hinter der Theke hervor und erklärte, daß in den Morgennachrichten gemeldet worden sei, man habe Lüscher in Jugoslawien gefaßt. Er wartete darauf, was Ascher sagen würde. Ascher hatte tief geschlafen und verspürte, wie immer in solchen Fällen, keine Lust auf ein Gespräch.
    »Sie haben ihn schon gestern abend erwischt, aber sie haben sich Zeit gelassen«, sagte der Wirt. Er nahm ein Paket Zeitungen und legte sie vor Ascher auf den Tisch. Dann
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