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Der stille Ozean

Der stille Ozean

Titel: Der stille Ozean
Autoren: Gerhard Roth
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sei alles in Ordnung gewesen. Der Arbeiter hatte in einem aufsässigen Ton geantwortet, und auch der andere war immer unruhiger geworden, schließlich hatte er zu jedem Satz feindselig gelacht. Ein Auto parkte auf der Seite des Hauses, Hühner pickten in einem offenen Arbeitsgebäude, auch die Stalltür war geöffnet. Ascher trat näher und schaute hinein. Ein Dutzend brauner Pferde stand in Bretterkojen, die zur Mitte mit Eisenstangen abgesperrt waren. Stroh war auf den Boden geworfen, und ab und zu machte eines der Pferde eine unruhige Bewegung, die meisten drehten ihre Köpfe aber langsam zu ihm hin und musterten ihn mit großen Augen. Plötzlich erschien ein kleiner Mann in Gummistiefeln und blickte ihn an. Ascher tat, als habe er ihn nicht bemerkt, worauf ihn der Mann ansprach. Er hatte einen kleinen Kopf wie ein Kind und eine sich überschlagende Stimme. In einer Hand hielt er eine Bürste, vermutlich hatte er gerade die Pferde gestriegelt.
    »Sind Sie von der Zeitung?« fragte er. Als Ascher verneinte, machte er ein enttäuschtes Gesicht. Das Haar hing ihm in fettigen Strähnen in das Gesicht, seine Haut war aufgedunsen, die Augen glänzten wäßrig. Er hatte sichtlich noch nicht seinen letzten Rausch ausgeschlafen. »Ach so, ich dachte, Sie seien von der Zeitung«, sagte er. Er fing an, ein Pferd zu striegeln und wartete ab. Dann sagte er, daß die Frau des getöteten Besitzers den Reitstall nicht weiterführen wolle. Ascher hatte den Eindruck, daß er trotz der Enttäuschung sprechen mußte. Er mußte die Neuigkeiten loswerden, so würde er damit wenigstens jemanden verblüffen können.
    »Sie hat sich nie etwas daraus gemacht. Nun wird sie ihn völlig aufgeben«, setzte er fort. Auch die Äcker wolle sie verpachten. Er machte einen Schritt zur Lichtklappe und öffnete sie. »Sehen Sie selbst, es sind große Äcker. Alles von der Kirche weg bis zum Nachbarn gehört zum Besitz.« Für die hiesigen Verhältnisse sei Herbst vermögend gewesen. Er habe zu den größeren Bauern der Gemeinde gehört. Auch Egger habe viel besessen. »Jetzt haben sie aber nichts mehr davon«, sagte er. Er wollte nicht mehr weitersprechen, und als Ascher das nicht sofort begriffen hatte, drängte er ihn beim Striegeln des Pferdes zur Seite, als stünde er ihm im Weg.
    Hinter dem Pferdestall folgte ein Kuhstall, der ebenfalls sauber und gepflegt war. Er war lang und dunstig. Neben dem Kuhstall waren zwei Futtersilos errichtet, in einem gedeckten Schuppen standen zwei Traktoren und verschiedene Zusatzgeräte. Das Wohngebäude schätzte Ascher auf ungefähr zehn Jahre, aber die Küche war ohne Ansprüche eingerichtet. Ascher hatte das auch schon bei anderen größeren Bauern gesehen: Zumeist spielte das Wohnen keine große Rolle. Auch die vermögenderen waren nicht sehr anspruchsvoll, was die Einrichtung betraf.
    Die Journalisten waren inzwischen mit ihrer Arbeit fertig geworden. Er traf sie hinter dem Kuhstall. Sie hatten die Absicht, als nächstes Lüschers Frau aufzusuchen, und so gingen sie gemeinsam an einer kleinen, weißen Kapelle vorbei zur Saggau hinunter.
     

32
     
    Lüschers Hof bestand aus einem Wohngebäude, das halb von Nußbäumen verdeckt war, und zwei kleineren Wirtschaftsgebäuden, vermutlich einem Stall und einer Tenne. Der Stall war wie das Haus gelb gestrichen, in einem der Fenster stand ein vergessenes Fliegenglas. Lüschers Frau arbeitete mit seiner Mutter vor dem Haus, als die Journalisten sie ansprachen. Die Mutter war nicht sehr groß und stellte beim Gespräch einen Fuß nach vorne, um sich mit den Händen auf dem Oberschenkel abzustützen. Sie hatte lebhafte Augenbrauen, die sich mit jedem Wort bewegten, einmal zusammengezogen, dann hoben, dann wiederum senkten, als hätten sie sich verselbständigt. Aber ihre Bewegungen waren langsam und schwerfällig, und ihre Blicke waren sorgenvoll. Lüschers Frau hingegen war größer und kräftig, sie hatte dunkelblondes Haar und war wie die Mutter mit Schürze, Pullover und Kopftuch bekleidet. Ascher grüßte sie, und die Frauen grüßten zurück, während die Journalisten nun ihrerseits grüßten, einen Ausweis herzeigten und sich vorstellten. Die alte Frau sprach zuerst. Sie wich dem Blick der Journalisten nicht aus, sondern schien in ihren Gesichtern Gedanken lesen zu wollen, um sofort widersprechen zu können. Ihre Stimme zitterte, aber Ascher hatte den Eindruck, daß sie sagte, was sie dachte. Immer hätten die anderen ihren Sohn ›hineingelegt‹. Ihrem Sohn
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