Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ave Maria - Roman

Ave Maria - Roman

Titel: Ave Maria - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
1
    Erster Akt, erste Szene, dachte der Geschichtenerzähler und konnte den Schwindel erregenden Ansturm von Erwartung nicht unterdrücken. Die Wahrheit war, dass ganz gewöhnliche Menschen ständig perfekte Verbrechen und Morde begangen. Darüber hörte man aus dem schlichten Grund nichts, weil die Killer nie erwischt wurden.
    Er selbstverständlich ebenfalls nicht. Das war die Grundvoraussetzung der Geschichte, die er erzählen wollte.
    Was keineswegs bedeutete, dass der heutige Tag nicht nervenaufreibend war. Im Gegenteil, es war für ihn der intensivste Moment der letzten verrückten Jahre. Er war bereit, jemanden zu töten, einen völlig Fremden, und er hatte entschieden, dass New York City genau der richtige Ort für den ersten Mord sei.
    Beinahe hätte der Mord vor der Toilette im Keller des Kaufhauses Bloomingdale’s stattgefunden, aber dann hatte ihn bei diesem Ort ein ungutes Gefühl beschlichen.
    Selbst um halb elf morgens waren dort zu viele Menschen.
    Es herrschte zu viel Trubel, war aber nicht laut genug, um die nötige Ablenkung zu gewährleisten.
    Außerdem missfiel ihm die Idee, auf die ihm nicht vertraute Lexington Avenue fliehen zu müssen, besonders hinunter in die U-Bahn-Tunnel, wo man Platzangst bekam. Wenn der Zeitpunkt richtig war, würde er das spüren und dementsprechend handeln.
    Daher schlenderte der Geschichtenerzähler weiter. Plötzlich
beschloss er, sich im Sutton Theatre an der East 57th, einem heruntergekommenen Kino, das offensichtlich schon bessere Tage gesehen hatte, einen Film anzuschauen.
    Vielleicht war dies ein guter Ort für einen Mord? Ihm gefiel die Ironie, selbst wenn er der Einzige war, der diese sah. Ja, vielleicht könnte es hier großartig klappen, dachte er, als er sich in einen der kleinen Kinosäle setzte.
    Dann schaute er sich mit sieben anderen Tarantino-Fans Kill Bill II an.
    Welcher dieser nichts ahnenden Menschen sollte sein Opfer werden? Du? Du? Du, dort drüben? Der Geschichtenerzähler malte sich die Geschichte im Kopf genüsslich aus.
    Da waren zwei Angeber mit identischen New-York-Yankee-Baseballmützen, selbstverständlich trugen sie diese mit dem Schirm nach hinten. Diese Nervensägen quatschten ununterbrochen während der unvermeidlichen unendlichen Reklamen und Vorschauen. Beide hatten den Tod verdient.
    Aber ebenso das grauenvoll gekleidete ältere Paar, das überhaupt nicht miteinander sprach. Kein einziges Wort in den fünfzehn Minuten, ehe das Licht ausging. Die beiden zu töten wäre ein gutes Werk, beinahe ein Dienst für die Öffentlichkeit.
    Eine zarte Frau, Anfang vierzig, zitterte ständig. Sie saß zwei Reihen vor dem scheintoten Paar. Sie schien - außer ihn - niemanden zu stören.
    Dann war da noch ein hünenhafter Schwarzer, der die Füße auf die Reihe vor ihm gelegt hatte. Was für ein ungehobelter Mistkerl. Seine alte Highschool-Jacke war mindestens XXL.
    Daneben saß ein schwarzbärtiger Filmbesessener, der
Kill Bill wohl schon ein Dutzend Mal gesehen hatte und Quentin Tarantino natürlich anbetete.
    Es stellte sich heraus, dass der bärtige Typ als Erster aufstand, gerade als der Film etwa zur Hälfte gelaufen war, gleich nachdem Uma Thurman lebendig begraben worden war. O Gott, wie konnte man bei der klassischen Szene rausgehen!
    Pflichtschuldig folgte er ihm nur wenige Sekunden später. Hinaus ins schmuddelige Foyer, dann zur Herrentoilette, welche sich neben dem Theatre II befand.
    Jetzt zitterte er tatsächlich. War es das? War das sein Moment? Sein erster Mord? Der Anfang dessen, wovon er seit Monaten träumte? Besser gesagt, seit Jahren.
    Er war ziemlich auf Autopilot eingestellt und bemühte sich, über nichts anderes nachzudenken, als dass er die Sache hier durchziehen und danach ins Kino rein- und wieder rauskommen musste, ohne dass sich jemand sein Gesicht oder sonstige Details einprägte.
    Der Bärtige stand am Urinal. Das sah doch gut aus! Außerdem konnte der Schuss im perfekten Rahmen und direkt mit künstlerischer Regie abgegeben werden.
    Der Kerl trug ein zerknittertes schmutzig schwarzes T-Shirt, auf dem NYU FILM SCHOOL stand und dazu die Klappe als Logo. Er erinnerte ihn an eine Figur aus einem Comic von Daniel Clowes. Diese graphische Scheiße war derzeit total in.
    »Und... Action!«, sagte er.
    Dann schoss er den armen bärtigen Verlierer in den Hinterkopf und schaute zu, wie dieser wie ein schwerer Sack auf den Boden der Toilette fiel. Dann lag er da und rührte sich nicht mehr.
    »He - was zum...? Was ist denn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher