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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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Über das frische Unterkleid zog sie ein knöchellanges blaues Oberkleid. Jetzt musste sie nur noch die Haare binden. Mit ihrem vom Wind zerzausten Schopf ähnelte sie eher einer Wilden. Sie, eine Wilde? Uta lächelte und sah sich breitbeinig auf dem Rücken ihrer Stute durch die Felder galoppieren. Ein Klopfen riss Uta aus ihrer Träumerei. Sie blinzelte sich in die Realität zurück, dann öffnete sie die Tür.
    »Wo bleibst du denn?«, erkundigte sich Erna atemlos. Das pausbäckige Mädchen mit den von der Haube kaum zu bändigenden hellen Locken schaute ihre Herrin sorgenvoll an.
    »Das Gewand sitzt«, entgegnete Uta und schaute prüfend an sich hinunter.
    »Dein Kopf«, deutete Erna, die sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte, mit dem Zeigefinger. »Man könnte meinen, du hättest mit Lisa die Haare getauscht.«
    Uta musste nun auch schmunzeln und fuhr sich mit den Fingern durch die langen Strähnen, um sie zu entwirren. Mit wenigen gekonnten Handgriffen flocht sie das Haar auf dem Rücken zu einem dicken Zopf. Sie ergriff die auf der Fensterbank liegende Spange und steckte damit eine widerspenstige Locke über dem Ohr fest. Das Schmuckstück mit den hellgrünen Vierkantsteinen war ein Geschenk ihrer Mutter. Vielleicht mochte sie es deswegen besonders gern. Dass es ihre Augen so wunderbar zum Leuchten brächte, sagte die Mutter stets, wenn sie das Schmückstück an Uta entdeckte, und strich ihr dabei liebevoll über die Wangen. Uta war stolz, die grünen Augen ihrer Mutter geerbt zu haben, zumal Esiko, der manchmal etwas eigen war, die gleiche Augenfarbe besaß. Auch die zierliche Gestalt und die Konturen ihres Gesichts mit den geschwungenen Brauen, der schmalen Nase mit dem breiten Nasenrücken und den kleinen Mund mit den vollen Lippen hatte die Mutter ihr in die Wiege gelegt. Besonders stolz war Uta jedoch auf den kleinen braunen Fleck, einen Fingerbreit unter ihrem linken Auge. Den besaßen alle vier Geschwister an genau der gleichen Stelle, was sie mit der Mutter auf eine besondere Weise verband.
    »Du siehst hübsch aus«, sagte Erna und richtete Uta die Spange. In diesem Moment erklang der letzte Schlag der Doppelglocke: Die Gäste waren also angekommen.
    »Komm! Sonst schimpft der Vater.« Uta ergriff Ernas Hand und zog sie hinter sich aus der Kemenate.
    Zur Begrüßung der hohen Besucher hatten die Burgbewohner in drei Reihen Aufstellung genommen. An der Spitze der Versammlung stand der Burgherr Graf Adalbert von Ballenstedt mit seinem Stammhalter Esiko. Adalberts einst blaue Augen waren vor Verbitterung über die Jahre hinweg verblasst. Als Graf war er ein Lehnsmann des Königs und als solcher zum Schutz seiner Untertanen verpflichtet. Die Untertanen brachten im Gegenzug dafür halbjährlich Naturalien und Brennholz auf die Burg. Mittlerweile erzielte er Einkünfte aus zahlreichen Lehnsdörfern im Schwaben- und im Harzgau, im Nordthüringengau und im Serimunt. Außerdem hatte er durch die Heirat mit Hidda, der Tochter des Markgrafen Gero aus der Ostmark, noch umfangreiches, freies Landeigentum hinzugewonnen. Nichtsdestotrotz konnte er dem König aufgrund seiner vergleichsweise immer noch kleinen Lehen nur geringe Kriegsdienste leisten. Die Markgrafen der östlichsten Reichsgebiete stellten dem König für den Krieg zwanzigmal so viele Krieger, Pferde und Waffen zur Verfügung wie er und wurden deshalb auch in Angelegenheiten des Reiches von Kaiser Heinrich zur Beratung und Mitsprache herangezogen. Adalbert war ihnen an Macht und Einfluss deutlich unterlegen, aber das – so hatte er sich vorgenommen – würde er heute, so gut es ging, zu überspielen wissen. Keine leichte Aufgabe, wenn es um Gebietsstreitigkeiten mit dem Meißner Markgrafen Ekkehard dem Älteren ging. Adalbert richtete sein Wams und fixierte das Eingangstor, vor dem nun deutlich Pferdegetrappel zu vernehmen war.
    Diesen Moment der Konzentration nutzte Uta und sprang am Küchenmeister vorbei an die Seite ihrer Mutter, die in der zweiten Reihe hinter dem Grafen Aufstellung genommen hatte. Erna trat zu den Mägden.
    »Entschuldigt, Mutter«, flüsterte Uta und knickste. Gräfin Hidda, die dem besonderen Anlass entsprechend einen Schleier mit edler Borte angelegt hatte, ergriff unauffällig die Hand ihrer Tochter. Esiko, der neben dem Vater stand, wandte sich um und mahnte mit dem Finger auf dem Mund zur Ruhe. Als er sah, dass die Schwester liebevoll lächelnd von der Mutter zu ihm schaute, wandte er sich wieder dem Geschehen vor
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