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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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sonst auf Ballenstedt gereichten deutlich an Imposanz und Vielfalt übertrafen. So hatten sie im vergangenen Winter tagelang nur Brot und mehliges Wasser zu essen und zu trinken gehabt. Umso mehr genoss sie nun den Geruch von Schinken, Leberpastete und des herrlich nach Pflaumen und Birnen duftenden Muses. Der Tag, der mit dem betörenden Duft der Narzissen beim Ausritt begonnen hatte, schien eine geruchsintensive Fortsetzung zu erfahren. Im Sog einer fröhlichen Melodie streifte Utas Blick die dritte Tafel, an der Volkard aus dem Hardagau saß und gerade nach einer Hühnerkeule griff. Sie erinnerte sich noch gut an ihn, ihre beiden Familien hatten vor zwei Sommern das Auferstehungsfest des Herrn hier auf Burg Ballenstedt gemeinsam begangen. Der Junge mit dem ungewöhnlichen Haar, von dem Uta meinte, dass es die Leuchtkraft der brennenden Kienspäne an den Wänden des Burgsaales aufsog, zählte drei Jahre mehr als sie, erschien ihr körperlich aber unverändert gedrungen.
    »Mmh. Was für ein guter Schinken!« Eine Silberschale schob sich in Utas Blickfeld. »Ein Edelfräulein sollte Fremde nicht so anstarren«, flüsterte Erna, die gewöhnlich für das Ankleiden, die Ordnung in der Kemenate und noch einige andere Wünsche der Grafenkinder zuständig war. Aufgrund des aufwendigen Mahles half sie dieser Tage jedoch auch in der Küche aus.
    »Erna!« Uta lächelte und senkte den Blick. »Dir entgeht auch nichts!« Sie schaute sofort wieder auf, piekste mit dem Messer ein Stück vom Schinken auf und legte es auf eine Scheibe Brot.
    »Hier, nimm gleich noch etwas.« Die Freundin hielt die Silberschale tiefer. »Bevor alles weg ist.«
    »Ich möchte lieber vom Mus kosten. Kommst du nach dem Fest zu mir hinauf? Dann kann ich dir die Geschichten der Gäste erzählen.«
    Voller Vorfreude nickte Erna und wurde im nächsten Augenblick von einem Hungrigen am Ärmel fortgezerrt, der sich darüber beklagte, dass die Platte vor ihm bereits leer sei. Inzwischen waren Tischgespräche über allerlei Belangloses in Gang gekommen. Esiko beschrieb seinen letzten Jagderfolg mit der Axt, die Ritter an der gegenüberliegenden Tafel redeten durcheinander.
    »Was meint Ihr dazu, dass unsere kaiserliche Hoheit das Bündnis mit den Liutizen nach dem Friedensschluss mit Boleslaw in Bautzen aufgelöst hat?«, erhob Markgraf Ekkehard, nachdem er einen Fasanenschenkel vertilgt hatte, das Wort und brachte damit alle anderen Gespräche zum Verstummen.
    »Wird der Friede wirklich ein endgültiger sein?«
    Uta horchte auf. Die Liutizen? Esiko hatte ihr vor einiger Zeit von diesem seltsamen Volk erzählt. Sie waren Slawen, die entlang der Elbe bis hinauf zur Ostsee lebten, in ihren Tempeln Gottheiten mit zehn Gesichtern verehrten und diesen sogar Menschenopfer darbrachten. Esiko hatte ihr einst bildhaft vorgeführt, wie sie ihre Opfer quer am Hals, schräg über dem Handgelenk und zwei Finger breit über dem Knie zerschnitten. Zuletzt wurde ihnen der Schädel gespalten.
    »Der Kaiser hat das Bündnis mit diesen wilden, heidnischen Slawenvölkern aufgelöst?« Graf Adalbert war offensichtlich angewidert. »Was kann ein Stammesvolk, das sich nicht von Christus leiten lässt, schon gegen einen so übermächtigen Gegner wie Herzog Boleslaw ausrichten!« Er wusste, dass der Friedenschluss mit dem Polen nur durch Zugeständnisse Kaiser Heinrichs möglich geworden war. Und eines davon war die Kündigung des Bündnisses mit den Liutizen gewesen, die Heinrich nun nicht länger als Verbündete gegen Boleslaw zu benötigen glaubte.
    »Auf dem Weg in den Harz streift der Kaiser dieser Tage nur knapp unsere Ländereien«, erklärte der Markgraf. »Er führt jene Geiseln aus dem Gefolge des polnischen Herzogs in seinem Zug mit, welche er in Bautzen beim Friedensschluss als Pfand übergeben bekam. Doch trotz dieses Umstands bin ich mir unsicher, was die Dauerhaftigkeit des Friedensabkommens angeht. Schließlich ist allgemein bekannt, dass Herzog Boleslaw einst die polnische Königskrone versprochen bekommen hat, dieses Versprechen von kaiserlicher Seite aber nie eingelöst wurde. Wegen des zu Jahresbeginn geschlossenen Friedens und seiner Ehe mit Oda wird Herzog Boleslaw vorerst vielleicht von weiteren Angriffen absehen, aber ob er endgültig von der Königskrone wird lassen können?« Markgrafensohn Hermann nickte. »Ich bezweifele ebenfalls, dass Boleslaw die Krone aufgegeben hat. Bereits beim Friedensschluss wurde erzählt, dass er seinen Ältesten, Bezprym,
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