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Finns Welt - 01 - Finn released

Finns Welt - 01 - Finn released

Titel: Finns Welt - 01 - Finn released
Autoren: Oliver Uschmann
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DAS REH
    Da sind sie, meine Freunde, und kämpfen miteinander. Wenn man das Kämpfen nennen kann. Lukas kloppt mit einem großen Ast auf Flos Schulter ein. Er schreit dabei herum wie ein Verrückter, aber seine blauen Augen lachen. Es ist ein ungleicher Kampf, wenn man sich die beiden so anguckt. Lukas, der drahtige, flinke Fußballer, der sein Hemd lässig im Wind flattern lässt, und Flo, der kleine, gedrungene Gamer, dem der dunkle Pulli auf dem Bäuchlein spannt. Rindenstückchen fliegen durch die Gegend. »Wehr dich, Krieger!«, sagt Lukas, aber Flo kommt gar nicht dazu, er hat schon genug damit zu tun, zur Deckung die Hände oben zu halten und den Stock nicht auf den Schädel zu kriegen. »Soldat von Asgard und Arminia«, ruft Lukas weiter, »Verteidiger der alten Bäume von Schrot und der sprechenden Hamster von Korn, Erbe der blauen Streitaxt von Hildegard!« Lukas hat keine Ahnung, was er da plappert, und ich denke, das ärgert Flo am meisten. Wenn er schon am frühen Morgen auf dem Schulweg mit einem mächtigen Ast verdroschen wird, dann wenigstens von jemandem, der die Sache ernst nimmt. Aber Lukas nimmt sie nicht ernst. »Bei der Hornhaut von Thor und den Pickeln von Persien! Ich befehle dir, wehre dich, Leutnant Flo!«
    »Bei World of Warcraft gibt es nur einen Mini Thor!«, schreit Flo so laut, dass Lukas innehält. »Und es heißt Prince of Persia, nicht Pickel von Persien. Pickel siehst du, wenn du in den Spiegel schaust, du Auswechselstürmer!«
    Lukas bleibt stehen. Er zuckt mit den Schultern und wirft den Ast auf den Acker. Dann sieht er mich an, zeigt auf Flo und sagt: »Ja, so ist das mit den Computerspielern. In ihrem Märchenwald markieren sie den dicken Macker und auf dem Schulweg kommen sie nicht mal gegen ein morsches Stöckchen an.«
    »Ich war noch nicht fertig«, mault Flo und wischt sich Rinde vom Ärmel.
    »Oh, er war noch nicht fertig«, sagt Lukas und wedelt dabei mit den Händen in der Luft herum wie ein eingebildeter Friseur. Lukas und ich nennen Florian Flo, schon immer. Ich heiße Finn und es ist ein guter Name, denn man kann ihn nicht abkürzen oder verniedlichen.
    »Und was soll Arminia überhaupt für ein Gott sein?«, fragt Flo, der sich über und über mit Dreck verschmiert vom Boden hochrappelt.
    »Das ist ein schlechter Verein«, klärt Lukas ihn auf. Lukas hält nichts von Computerspielen, er hält nur was von Fußball, und das in echt und auf dem Platz. Er ist alles andere als ein Auswechselstürmer. Er ist der beste Torschütze der Liga in der C-Jugend. Wir gehen zusammen in eine Klasse, aber er ist fast ein Jahr älter als wir, weil er das letzte Schuljahr wiederholen musste. Nicht aus Doofheit, sondern weil er lieber eine Stunde trainiert, als eine Stunde Hausaufgaben zu machen. Nach der Zehnten will er auf ein Sportinternat gehen. Auch wenn er bald vierzehn wird, ist Lukas sehr groß. Vier von fünf Toren macht er mit dem Kopf. Dabei jubelt ihm vom Spielfeldrand seine Freundin Vivien zu. Er sagt immer, wir könnten auch längst eine haben, selbst Flo, wenn er nicht den ganzen Tag vor dem Bildschirm hängen würde. »Wenn du spielst, würdest du nicht mal merken, wenn ein Feuer ausbricht«, hat Lukas eines Tages zu Flo gesagt und der meinte: »Das ist doch Quatsch!« Er war gerade am Zocken gewesen, als er das sagte. Lukas hatte ein Feuerzeug aus der Küche geholt, luftig zerknüllte Zeitungen in Flos Papierkorb gestopft und sie angezündet. Erst als seine Mutter schreiend ins Zimmer kam, hatte Flo bemerkt, dass hinter ihm Flammen aus seinem Mülleimer schlugen.
    Ich lasse die beiden streiten und beobachte dabei die Gegend. In der Straßenkurve, die wir gerade passiert haben, stehen ein paar dieser Verkehrsschilder, die anzeigen, dass eine scharfe Kurve beginnt. Es sind Dellen darin, als hätte ein Auto sie gestreift oder als sei etwas dagegengeprallt. Ich kann Bremsspuren auf dem Asphalt erkennen und rote Spuren auf den weißen Flächen der Schilder; vielleicht von abgewetzter Farbe, vielleicht aber auch von Blut. Direkt daneben liegt der Garten der alten Frau Schepers. Ihre Wäsche ist noch auf der Leine; seit vier Tagen hängen die weißen Laken nun schon draußen. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise hängen sie höchstens drei.
    Solche Details bleiben mir im Gedächtnis, denn ich schaue immer genau hin. Lukas beobachtet jeden Pass auf dem Fußballplatz, Flo beobachtet jedes Monster im Computerspiel und ich beobachte die Welt. Irgendwie ist sie ja auch ein Spiel.
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