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Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Titel: Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
Autoren: Franziska Steinhauer
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    Nico Lobedan musterte seinen Interviewpartner neugierig.
    Hoffentlich hatte sein Redakteur sich das wirklich gut überlegt, diese Leute waren schließlich unberechenbar. Fanatiker eben.
    Der junge Mann, der ihm gegenübersaß, war blass und wirkte mit seiner seltsamen Kleidung, einer Art Kaftan und extrem weiten Hosen, die konturlos seinen Körper umflatterten, ein wenig verloren. Aber vielleicht entstand dieser Eindruck von Entrücktheit mehr durch den Blick, mit dem er durch Nico Lobedan hindurchzusehen schien. In wenigen Minuten würden sie live auf Sendung gehen und der Moderator von LTV, dem lokalen Fernsehsender der Stadt, glaubte immer deutlicher, eine unterschwellige Aggressivität, ähnlich einer negativen Schwingung, spüren zu können. Ihm war der Mann unheimlich. Angestrengt versuchte er, seinen Blick von der Tüte loszureißen, die sein Gast so fest umklammert hielt, dass die Knöchel an seinen langen schmalen Fingern leuchtend weiß hervortraten. Bestimmt eine diskret tickende Bombe, scherzte eine kleine Stimme in Nico Lobedans Kopf, die er eilig verstummen ließ.
    Alles Hirngespinste, schalt er sich dann, er würde sich nicht von dieser Atmosphäre des Misstrauens anstecken lassen; diese seismographischen Störungen, die er zu empfangen glaubte, waren Spiegel seiner Einbildung. Das Ungewöhnliche, machte er sich bewusst, das Fremde macht uns Angst!
    Er würde sich nicht ins Boxhorn jagen lassen, sondern seine Chance nutzen und mit diesen albernen Gerüchten aufräumen, denn durch das Interview würden die Menschen in Cottbus und Umgebung sehen, dass es überhaupt keinen Grund zur Besorgnis gab!
    Das vereinbarte Signal – es konnte losgehen.
    »Ich begrüße in unserer heutigen Sendung über Cottbus und seine Menschen: Herrn Paul Mehring, Gründungsmitglied der Mind Watchers«, die Kamera schwenkte über beide Gesichter und die Gesprächspartner nickten sich kurz zu. »Herr Mehring, über einen Mangel an Aufmerksamkeit können sich Ihre Mind Watchers zurzeit sicher nicht beklagen. Können Sie für uns die wichtigsten Ziele Ihrer neuen Sekte knapp umreißen?«
    »Ich würde die Mind Watchers nicht als Sekte bezeichnen wollen – das hat so einen religiös-fanatischen Unterton. Wir sind eine Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Bewusstsein der Menschen wieder für die Dinge zu schärfen, die ihnen schaden oder nutzen. Daher auch unser Slogan: ›Keep your mind in mind‹ – was so viel heißt wie: Pass auf dein Bewusstsein, deinen Geist auf.«
    »Um den schädlichen Konsum von Zigaretten geht es demnach nicht.«
    »Nein«, Paul rang sich ob dieses lahmen Scherzes ein gequältes Lächeln ab. »Wir beklagen schon seit geraumer Zeit eine zunehmende Kälte und Verrohung in der Gesellschaft, einen allgemeinen Werteverfall. Doch niemand arbeitet dem entschlossen genug entgegen.«
    »Aha! Und die Mind Watchers tun genau das?«
    »Ja. Wir Mind Watchers sind uns schon lange darüber im Klaren, dass dieser Verfall und die herrschende Gleichgültigkeit Ergebnis unserer ›Beschäftigungshygiene‹ sind. Was wollen Sie denn von einer Gesellschaft erwarten, deren Mitglieder sich in ihre Behausungen zurückziehen und dort geistlose Sendungen im Fernsehen ansehen? Telenovelas zum Beispiel. Schnell werden die Zuschauer geradezu abhängig vom Leben der Protagonisten und bringen für die realen Vorgänge vor ihrer Haustür so gut wie überhaupt kein Interesse mehr auf.«
    »Ihre Bewegung sieht allerdings nicht nur in der Fernsehunterhaltung eine Bedrohung, oder?« Nico Lobedan hoffte, seine Stimme hörte sich nicht so kläglich an, wie er sich fühlte: Fernsehschelte in seiner Sendung! Vielleicht konnte er das Blatt ja noch wenden.
    »Nein, selbstverständlich nicht. Jede Beschäftigung, die den Geist einlullt und womöglich noch Aggressionen im Schlepptau hat, ist gefährlich.«
    »Dazu gehört nach Meinung Ihrer Bewegung auch Fußball. Damit machen Sie sich hier in Cottbus mit Sicherheit nicht viele Freunde. Der Verein ist in der letzten Saison wieder in die erste Liga aufgestiegen – fast jeder in der Stadt ist auch ein Fan von ›Energie Cottbus‹.«
    »Meine Vorstellungen mögen nicht jedermann gefallen«, Paul Mehring beugte sich vor, sah Lobedan mit seinen hellblauen Augen direkt an und schüttelte seine üppigen blonden Locken, die bis über die Schultern fielen, »Fußball ist ein Spiel, das in besonderer Weise Emotionen freisetzt. Auf dem Spielfeld wird gefoult, getreten, geboxt, gezerrt – auf
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