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Panic

Panic

Titel: Panic
Autoren: Mark T. Sullivan
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Frühherbst
    Hier beginnt meine Geschichte.
    Ich heiße Diana Jackman, aber seit einiger Zeit nenne ich mich wieder Little Crow, Kleine Krähe. So hieß ich als Kind. Ich bin Mutter zweier Kinder und entwickle Software für Umwelttechnik. Außerdem jage ich gern. Hirsche, um genau zu sein. Wie kommt eine Frau von heute dazu, Fährten zu lesen und auf die Jagd zu gehen? Die Antwort ist die: durch meine Mutter, meinen Vater und meinen Großonkel. Warum ich fast fünfzehn Jahre lang nicht mehr im Wald war? Aus demselben Grund. Wie ich in die schrecklichen Ereignisse im letzten November verwickelt wurde? Das ist eine längere Geschichte.
    Was in den Monaten, bevor ich nach British Columbia kam, vorgefallen ist, darüber kann ich nur spekulieren.
    Eins weiß ich sicher: Pawlett hatte die Zeichen richtig gedeutet. Der Winter würde früh einsetzen und gnadenlos streng werden. Die Netze der braunen Spinnen spannten sich breit und kompliziert von der Traufe seiner Hütte. Die Wildgänse waren schon am Dienstag vor Labor Day, also Ende August, nach Süden gezogen. Und die Hermeline, die besten Jäger überhaupt, gebärdeten sich ausgesprochen bösartig auf ihren herbstlichen Raubzügen.
    Letzteres hatte Pawlett offensichtlich sehr beunruhigt, denn er hatte Mitte September, nicht weit vom Frenchman’s Creek, eine seltsame Begegnung mit einem Hermelin, und er war ein abergläubischer Bursche. An diesem Morgen jagte er nach Waldhühnern in einer Espenschonung mit frisch geschlagenem Holz. Es gab haufenweise Vögel, und er hatte schon etliche erledigt. Gegen elf, auf dem Rückweg zu seiner Hütte, entdeckte er dann den Hasen.
    Ich sehe das Tier förmlich vor mir, es hat sich während des Sommers ordentlich Speck angefressen, jetzt wird sein Fell allmählich winterlich weiß. Es duckt sich ängstlich ins Wurzelwerk einer umgestürzten Espe, und seine Nase nimmt zitternd die Witterung auf.
    Der hagere Trapper kratzt sich die juckende Stelle unter dem grauen Bart. Er entsichert seine alte, zerbeulte Schrotflinte, tritt ein wenig nach vorn und legt an. Doch gerade als er abdrücken will, entdeckt er, wie ein Hermelin, dreißig Zentimeter lang, Rücken schokobraun, Bauch schneeweiß, auf den Baumstamm klettert. Pawlett grinst. Er ist schließlich Fallensteller. Bis zum November wird das Hermelin die Farbe von frischer Sahne annehmen. Hermelinfelle werden trotz der Bemühungen von Tierschützern noch immer mit Gold aufgewogen. Und er nimmt sich vor, hier in zwei, drei Monaten ein paar Fallen aufzustellen.
    Da tut dieses Wiesel etwas, das den alten Trapper erschauern lässt. Es dreht sich zu ihm um und starrt ihn so verächtlich an, als habe es ihn längst bemerkt und schere sich einen Dreck um seine Gegenwart. Blutrünstig rollt es mit den ebenholzschwarzen Augen, bäumt sich auf und faucht ihn an. Noch nie hat sich ein Hermelin Pawlett gegenüber so unverschämt aufgeführt, und der Trapper weicht erschrocken zurück.
    Das scheint das Hermelin zu freuen. Kaum ist Pawlett hinter der Wegbiegung verschwunden, macht das Tier kehrt und schleicht sich ins Wurzelwerk über dem Hasen. Dieser ist doppelt so schwer wie das Hermelin, aber der kleine Räuber geht seiner Beute ohne zu zögern an den Hals. Das hohe Fiepen des Hasen, der seinem Angreifer zu entkommen sucht, klingt wie das Wimmern eines Kindes, das schlecht geträumt hat.
    Nachdem das Fiepen aufgehört hat, wartet Pawlett noch fünf Minuten und schleicht dann zurück. Er wirft einen Blick hinter den Wurzelstock und schluckt. Im Hals des Hasen klafft ein riesiges Loch. Einen Augenblick meint Pawlett noch, das Hermelin habe ihn kommen hören und sei davongelaufen; doch da bewegt sich der Rumpf des Hasen, und das Raubtier reckt den Kopf aus der offenen Kehle und zischt ihn an.
     
    Nach dieser Begegnung ging Pawlett fast einen Monat lang nicht mehr in den Wald. Er glaubte fest daran, dass die Natur in der Lage war, mittels Zeichen die Zukunft vorherzusagen. Und so verstand er den toten Hasen als einen Vorboten für sein eigenes Ableben. Da er also in diesem Oktober weder jagen noch fischen noch seine Fallen überholen wollte, vertrieb er sich die Zeit mit Holzhacken, ernährte sich von den Beeren, die er im August eingekocht hatte, und kippte Unmengen an gepanschtem Brennspiritus in sich hinein, um das Hermelin zu vergessen.
    Eines Morgens Mitte Oktober fuhr ein Mann namens Curly in einem nagelneuen roten Dodge-Pick-up mit Allradantrieb vor Pawletts Hütte vor. Curly kam immer um diese
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