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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo
Autoren: bach
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Eine Fliege weckte sie auf. Eine dumme Stubenfliege, die sich kitzelnd auf ihre schlafwarme Wange setzte. Sie konnte die kleinen Beinchen auf der Haut spüren und machte voller Ekel eine rasche Handbewegung. Die Fliege flog auf, kreiste zornig brummend über den Betten und prallte zweimal gegen die Tapete, was klang, als ob jemand mit dem Finger fest gegen die Wand tippte. Eigentlich hätte sie davon benommen sein müssen, aber sie surrte einfach weiter und war plötzlich zwischen den grünen Fenstervorhängen verschwunden. Draußen war es schon hell.
    Charlotte zog sich einen Zipfel des Federbetts übers Gesicht und kuschelte sich an Klara, die warm und rosig neben ihr schlummerte. Klara war ihre Lieblingscousine, gute zwei Jahre jünger als Charlotte; immer wenn sie bei den Großeltern zu Besuch waren, schlief Charlotte mit in Klaras Bett. Das war das Schönste an diesen Besuchen. Da ging Charlotte sogar freiwillig mit den Hühnern schlafen, nur um mit Klara noch zu flüstern, Geschichten zu erzählen oder alberne Witze. Die beiden anderen Betten in der engen Schlafkammer gehörten der älteren Cousine Ettje und Tante Fanny. Bei denen hätte Charlotte auf keinen Fall liegen wollen. Ettje knirschte im Schlaf mit den Zähnen, und manchmal schlug sie mit Armen und Beinen um sich. Außerdem hatte sie schon ihre Regel und jammerte immer fürchterlich, wenn es so weit war, was einen Angst und Bange machen konnte. Mit Tante Fanny das Bett zu teilen wäre noch schrecklicher gewesen; die legte sich abends steif und gerade auf den Rücken, die Hände über dem Bauch verschränkt, und wachte am Morgen in derselben Stellung wieder auf. Sobald Tante Fanny zu Bett gegangen war, durfte in der Kammer nicht mehr geflüstert werden, Kichern oder gar Lachen war gänzlich verboten. Einmal war die Tante aufgestanden und mit dem Nachtlicht in der Hand wie ein weißes Gespenst zu ihnen hinübergegangen, um Klara eine Ohrfeige zu geben. Die Strafe hätte Charlotte genauso verdient gehabt, aber Tante Fanny traute sich nicht, Charlotte zu schlagen, das hätte Papa nicht geduldet. Also hatte es die arme Klara abbekommen, Tante Fannys eigene Tochter.
    Charlotte schloss die Augen und versuchte, Klaras regelmäßigen Atemzügen nachzuspüren, um ihr in den Schlaf zu folgen, doch es wollte nicht gelingen. Wahrscheinlich lag es am Morgenlicht, das durch die Ritzen des Vorhangs quoll und das ausgebleichte Grün mit silbernen Rändern versah. Leise seufzend drehte sie sich wieder auf den Rücken, ganz vorsichtig natürlich, um Klara nicht aufzuwecken. Vielleicht war es ja gut, dass sie jetzt wach war; sie hätte das Segelschiff auf dem unendlich weiten Ozean sowieso nicht wieder gesehen, man träumte einen Traum niemals zum zweiten Mal. Und dann war der Traum zwar schön, aber auch kummervoll gewesen, so dass sie fast geweint hatte. Der stolze Dreimaster, der mit prall gefüllten Segeln die Wellen pflügte, trug Eltern und Bruder immer weiter von ihr fort, jeder Tag, jede Stunde machte die Entfernung zwischen ihnen größer. Sie reisten nach Indien, wo Mamas Eltern wohnten, in das Land voller Sonne und brauner Menschen, wo die Pflanzen geheimnisvoll dufteten und perlmuttfarbige Blüten auf den Teichen schwammen, lächelnd und schön wie Menschengesichter. Wie hatte sie gebettelt und gefleht, dass sie sie doch mitnehmen mögen, doch Mama hatte sich nicht erweichen lassen. Charlotte wurde zu den Großeltern nach Leer gebracht, ein Frachtschiff war kein Ort für eine Zehnjährige, auch wenn ihr Papa der Kapitän war. Ihr siebenjähriger Bruder Jonny aber durfte mitfahren. Weil er eben ein Junge war.
    Mama hatte sehr geweint, als der Großvater Charlotte in Emden abholte, auch Jonny hatte beim Abschied geheult; der kleine Dummkopf wäre viel lieber mit nach Leer gefahren, denn dort konnte er mit Paul spielen. Papa hatte Charlotte hochgestemmt und sich mit ihr auf der Stelle gedreht, so dass sie wie ein Vogel in der Luft schwebte, dazu hatte er gelacht. Das nächste Mal dürfe sie mit– das war hoch und heilig versprochen.
    Drüben im Bett reckte Ettje die Arme; sie gähnte verschlafen und ballte dabei die Fäuste.
    » Schlaft ihr noch?«, krächzte sie morgenheiser. » Denkt nicht, dass ihr faulenzen könnt, bloß weil heute keine Schule ist. Morgen ist Pfingsten, da wird hier alles geputzt.«
    Ettjes rundes Gesicht war umrahmt von einer spitzenbesetzten Nachthaube, die aus dem Bestand der Großmutter stammte. Die Cousine war der Meinung, ihr Haar sei
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