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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin
Autoren: Heinrich Steinfest
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Angesichts der Amtskirche war er eher Atheist, angesichts der von ihm noch zu entdeckenden mysteriösen Artefakte eher religiös. Das Übersinnliche erschien ihm als ein notwendiger Aspekt seiner zukünftigen Expeditionen. Gerade darum, weil er sich dem Akademischen verweigerte, lag ihm daran, in Grenzbereiche vorzustoßen. Im Grund war er der Typ, der auf Wunder hoffte. In diesem Sinn also religiös.
    Freilich hatte das wenig bis nichts mit dem vernünftigen Vorschlag zu tun, hier und jetzt ein Präservativ zur Anwendung zu bringen. Darum folgerte Ivo: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß du ein Kind von mir willst. Und schon gar keine Krankheit.«
    Doch Lil wies darauf hin, daß nur wenige Leute in den letzten Monaten so viele Bluttests gemacht hätten wie Ivo. Und da hatte sie nun wirklich recht. Ivo war ausgeheilt, er war nicht ansteckend, und er hatte es schwarz auf weiß. Blieb freilich die Ungewißheit, ob er sich als Vater eignen würde.
    Lils weitere Argumentation ging in die Richtung, daß, wenn man einmal die Zwanzig überschritten habe, sich diese Frage gar nicht stelle. Sie sagte: »Wir wollen miteinander schlafen, nicht wahr? Wenn sich daraus Konsequenzen ergeben, dann werden wir sie tragen. So einfach ist das. Es gilt für alles im Leben. Und ich denke, ein Kind ist sicher nicht die schrecklichste Konsequenz, die sich aus einem Vergnügen ergibt. Und wenn es kein Vergnügen ist, bleibt immer noch die Schönheit der Konsequenz.«
    Â»Das klingt, als wolltest du dich schwängern lassen«, sagte Ivo. In seiner Stimme war ein Zittern. Wie wenn die Scheibe eines Fensters zittert und sich die Leute fragen, ob das jetzt die Müllabfuhr oder ein Erdbeben ist.
    Â»Nein«, erklärte Lil, »ich akzeptiere nur den Umstand deiner potentiellen Zeugungsfähigkeit und meiner potentiellen Gebärfähigkeit. Wir sind in dem Alter, wo man Kinder kriegt – verheiratet, nicht verheiratet, schnell, langsam, geplant, ungeplant. In keinem Fall etwas, aus dem man ein Drama machen sollte.«
    Â»Schon, aber es gibt doch sicher bessere oder schlechtere Momente dafür.«
    Â»Das bilden sich die Menschen nur ein. Es ist eine Illusion zu meinen, man könnte den passenden Termin für eine bestimmte Sache auswählen. In Wirklichkeit ist es so wie mit den Katzen und den Hunden. Sie sind es, die sich uns aussuchen, nicht umgekehrt.«
    Â»Na, das gilt vielleicht im Falle des Tierschutzheims, aber nicht, wenn man zum Züchter geht.«
    Â»Wieso? Denkst du, du bezahlst ihn dafür, eine Wahl zu haben? Die Wahlmöglichkeit ist im Tierschutzheim viel größer. Theoretisch.«
    Nun, eigentlich wollte Ivo mit dieser Frau schlafen und nicht über Haustiere diskutieren. Sex mit ihr haben, aber nach Möglichkeit konsequenzlosen Sex. Andererseits muß natürlich gesagt werden, Beischlaf mit einer Madonna ohne irgendwelche Konsequenzen, das wäre dann auch wieder komisch, oder?
    Ivo hätte jetzt aufstehen und gehen müssen. Und genau das sagte er sich auch: Steh auf und geh! Dann aber fiel ihm ein, sich in der eigenen Wohnung, genauer gesagt der Wohnung seiner Eltern, zu befinden. Es wäre also an ihm gewesen, Lil hinauszuwerfen, hinauszubitten, hinauszubegleiten …
    Statt dessen schloß er die Augen und tauchte seinen Mund in ihr Gesicht.
    Wenn sich Ivo Berg später an diese Nacht erinnerte, konnte er nicht sagen, etwas Extremes sei passiert, also eine Form von übersinnlichem oder wenigstens übersinnlich gutem Sex. Dies hätte zu einer Madonna auch gar nicht gepaßt, der Sex schon, aber nicht, ihn zu übertreiben. Mehr aus ihm zu machen, als in ihm steckt. Und es steckt ja nicht wirklich viel in ihm, als »Akt« gesprochen. Jedenfalls weder die Möglichkeit einer Verschmelzung noch die, eine Wahrheit zu erkennen, die man nicht auch ohne Orgasmus und zeitweilige Entrückung zu erkennen in der Lage wäre.
    Â 
    Nachdem sich die beiden geliebt hatten, bettete Ivo seinen Kopf auf Lils Schulter, fragte aber gleichzeitig, ob ihr das unangenehm sei.
    Â»Was?«
    Â»Na ja. Vielleicht brauchst du jetzt deine Ruhe.«
    Â»Ich sag dir schon, wenn ich Ruhe brauche.«
    Â»Noch was, Lil!«
    Â»Ja?«
    Â»Sind wir jetzt ein Paar, oder war’s das?«
    Lil antwortete: »Wir sind ein Paar.«
    Â 
    Der Mensch hat es gern mit den Zeichen. Und in der Tat ist die Welt voll von Zeichen, und
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