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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin
Autoren: Heinrich Steinfest
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einem Nachtcafé zurückblieben. Nicht einmal mit Absicht, auch nicht von Ivos Seite, der ja bald aufgehört hatte, sich etwas auszurechnen. Zudem war Lil schon damals eine Anhängerin frühen Schlafengehens. Doch an diesem Abend klebten beide an ihren Stühlen fest.
    Als sie da nun saßen, am Ende eines Getränks, schweigend, lustlos, wurde Ivo von dem plötzlichen Bedürfnis gepackt, das Unausgesprochene auf den Tisch zu befördern. Jedenfalls fragte er Lil geradeheraus: »Muß ich mir die Augen ausstechen lassen, um bei dir eine Chance zu haben?«
    Sie wußte sofort, was er meinte. Ihre Antwort war eindeutig: »Richtig, Ivo, blind fand ich dich interessanter. Und sei ehrlich, seitdem du wieder sehen kannst, redest du dauernd Unsinn.«
    Â»Unsinn?« fragte Ivo, wie man seinen Zahnarzt fragt, ob der dunkle Belag auf den Zähnen tatsächlich vom Kaffee und vom Rotwein und den vielen Zigaretten kommt.
    Was soll’s! Es stimmte ganz einfach. Seit Ivo seinen Lidkrampf los war, fehlte ihm die Inspiration der Bilder aus seinem Kopf. Fehlten ihm die Sätze, die gleich Untertiteln diese Bilder begleitet hatten. Es fehlten die Einflüsterungen. Es war ein Jammer! Und er wußte um den Jammer. Darum nahm er die Frage, was Lil denn unter »Unsinn« verstehe, wieder zurück und sagte: »Du hast recht.«
    Dann hob er die Hand und gab dem Kellner ein Zeichen, zahlen zu wollen.
    Wenn ein Mann einer Frau recht gibt, und zwar ohne Theater, ohne Relativierung, ohne Anbiederung oder Ironie, ohne den Verdacht, Hexenkünste hätten dieses Rechtgeben begünstigt, dann beeindruckt das. Lil, die ja gerade noch Ivos Bedeutungslosigkeit festgestellt hatte, begann, ihn neu zu betrachten. Oder besser gesagt, die so einfache wie beifügungslose Erklärung Ivos, Lil habe recht, versetzte ihn in den alten Zustand einer Attraktivität, die über einen geriffelten Bauch hinausging. Und zwar sicher nicht, weil Lil immer dominieren wollte. Das tat sie ohnedies. Bedeutsam schien für sie nur zu sein, wie die anderen Menschen darauf reagierten.
    Es war Ivo gelungen, Lil zu verblüffen.
    Sie sagte: »Ich bring dich nach Hause.«
    Eigentlich sollte es ja umgekehrt sein: Der Mann bringt die Frau nach Hause. Doch aus der soeben erfolgten Quasiwiedererblindung ergab sich die Konsequenz, daß jetzt Lil es war, die Ivo begleitete, um ihn sicher in seiner Wohnung abzuliefern. Dementsprechend war es an Ivo, zu fragen, ob sie noch Lust habe, auf ein Glas Wein hochzukommen.
    Â»Wie ist der Wein bei dir?« wollte Lil wissen.
    Â»Ganz toll«, sagte Ivo, der aber in dieser Phase seines Lebens eher zu den Trinkern als zu den Kennern gehörte.
    Es war darum nur vernünftig, daß Lil, sobald man auf dem Sofa saß, erklärte: »Ach, lassen wir das mit dem Wein. Es bringt ja nichts, sich abzufüllen, nur damit man nachher die Ausrede hat, besoffen gewesen zu sein.«
    Mein Gott, welch passender Kommentar!? Nichts gegen den Alkohol an sich, aber er sollte nie etwas anderem dienen als dem reinen und puren Besäufnis. Das sah auch Ivo ein. Er stellte die halb entkorkte Flasche – aus der nun der Korkenzieher gleich einem mit dem Kopf hilflos im Sand steckenden Männlein ragte – zurück auf den Tisch und ließ sich von Lil auf ihre Seite des Sofas ziehen.
    Natürlich war er überrascht und verwirrt. Dazu kam, daß sie beide ja keine Jugendlichen mehr waren, es andererseits etwas jugendhaft Verbotenes an sich hatte, in der elterlichen Wohnung Sex zu haben. Somit ergaben sich in dieser Situation eine Menge Fragen. Andererseits war das hier wohl kaum eine Fragestunde zu nennen. Doch wenigstens in einem Punkt wollte Ivo Klarheit herstellen und sagte darum: »Ich hol mir einen Gummi.«
    Â»Lieber nicht«, antwortete Lil.
    Â»Willst du denn nicht …?« Er betrachtete verlegen ihren nackten Oberkörper, die viele weiße Haut, die über den Glanz frisch getrockneten Geschirrs verfügte. Und mindestens so frisch roch.
    Â»Natürlich will ich«, sagte Lil. »Aber ich verhüte nicht. Hätte Gott gewollt, daß die Menschen verhüten, hätte er uns wohl in diesem Sinne ausgestattet.«
    Â»Meine Güte, bist du etwa religiös?« fragte Ivo.
    Sie fragte zurück: »Meine Güte, bist du etwa Atheist?«
    Ja, was eigentlich? War Ivo Berg Atheist? Er hatte sich das noch nicht so richtig überlegt.
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