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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin
Autoren: Heinrich Steinfest
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Nichtglauben herumlavierte. Wie das leider die meisten tun.
    Egal, Lil hatte beschlossen, ihr Erbe anzutreten und zusammen mit dem Kind in ihrem Leib die Reise in eine Gegend anzutreten, die ihr so unbekannt war wie jene Cousine ihres Großvaters, die nach dem Krieg nach Deutschland geheiratet hatte und über die in der Familie nie ein Wort verloren worden war, nicht einmal ein schlechtes. Im Grunde wäre es darum an der Zeit gewesen, daß sich Lil …
    Ãœbrigens, sie hieß jetzt nicht mehr Lil, sondern wieder Lilli, denn die Zeit in Rom würde ja bald vorbei sein und damit auch die etwas kindische Usance, ausschließlich Namen mit drei Buchstaben zu tragen.
    Lilli hätte sich also eigentlich bei ihrem Großvater mütterlicherseits erkundigen müssen, was es mit dieser Frau auf sich hatte. Aber sie hielt diesen alten Mann für einen notorischen Lügner. Und wegen einer Lüge brauchte sie nicht nach Österreich zu telephonieren, auch wenn das eine Menge Leute tagtäglich tun. Blieben ihre Mutter und ihr Vater. Doch nach Lillis Einschätzung standen diese völlig im Banne des lügnerischen, machtvollen, die Kunst der Intervention ausübenden Großvaters. Ebenso unnötig also, mit ihnen zu sprechen.
    Lilli entschied, sich ein eigenes Bild machen. Und zwar vor Ort. Immerhin hatte die Erblasserin die letzten zwanzig Jahre in Giesentweis zugebracht, zehn davon als Witwe, da sollte sie wohl einige Spuren hinterlassen haben.
    Der Notar, der Lilli kontaktiert hatte, hatte gemeint, das Haus befinde sich in einem recht praktikablen Zustand, würde allerdings einiger Ausbesserungen bedürfen.
    Â»Wie bist du eigentlich als Handwerker?« fragte Lilli ihren Ivo.
    Â»Ich weiß nicht.« Nicht nur, daß er noch nie Vater gewesen war, er war auch noch nie Handwerker gewesen.
    Lilli antwortete in jener milden Art, die sie so sparsam wie wirkungsvoll einzusetzen verstand: »Du glaubst gar nicht, was man alles hinkriegt, wenn man nur will.«
    Nun, das stimmt ganz sicher, obgleich gerade Männer vorzugsweise die Zwei-linke-Hände-Theorie vertreten, gleichzeitig aber gesagt werden muß, daß auch mit der linken Hand schon viel Großes geleistet wurde. Außerdem: Zwei engagierte linke Hände sind besser als zwei lahme rechte, deren Fähigkeiten allein theoretischer Natur bleiben.
    Â»Und wann willst du umziehen?« fragte Ivo.
    Â»Na, was denkst du? Sofort natürlich.«
    Â»Und …?«
    Â»Ja?« Lilli verfügte über mehrere Ja-mit-Fragezeichen-Vertonungen. Manche klangen scharf, andere fröhlich, selten hörte sich eine kokett an, hin und wieder mitleidig. Diese hier drückte Ungeduld aus, vielleicht, weil Ivos Kleinmut Lilli langsam auf die Nerven ging.
    Aber damit lag sie falsch. Ivo hatte nicht vor, einen erneuten Einwand gegen das Landleben vorzubringen, sondern …
    Er sagte: »Denkst du, es wäre besser zu heiraten?«
    Â»Liebling, einen Heiratsantrag sollte man schöner formulieren.«
    Â»Ich dachte nur wegen des Kindes.«
    Â»Wieso? Willst du denn das Kind heiraten?«
    Â»Mein Gott, Lil«, stöhnte Ivo, der sich an das dritte l und das zweite i erst noch gewöhnen mußte, »du kannst es einem manchmal wirklich schwermachen.«
    Â»Wäre es leicht, dann wäre es nichts wert«, sagte sie, beugte sich aber gleichzeitig zu Ivo herunter, bettete ihre Wange auf seiner Schulter und meinte: »Laß uns mal das Kind kriegen, und dann schaun wir weiter.«
    Ivo hob ihr Gesicht leicht an und küßte sie. Er fühlte etwas in sich: man könnte sagen, eine Art Planetensystem, Körper, die sich in festgeschriebenen Bahnen um einen masseschweren Mittelpunkt bewegten. Doch um genau zu sein, das, was er da zu spüren meinte, war nicht wirklich ein Sonnensystem, sondern nur ein Modell davon, einer dieser hübschen Bausätze mit Zahnrädern und Drahtstangen und bemalten Kugeln, wo alles maßstabgetreu aufgesteckt wird, frei von Kollisionen, frei von übergroßer Hitze und übergroßer Kälte und der vielen Dunkelheit dazwischen.
    Ja, solange das Glück vorhanden ist, ist es ein Modell, ein Bausatz. Erst im Verschwinden wird es zu etwas Echtem.

2
    Giesentweis also. Einer dieser Orte, die man lieber bei Sonnenschein besuchen sollte, weil sie derart in ein enges Tal hineingebaut wurden, daß man im Herbst und Winter, bei Nebel oder Regen oder abgestürzten
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