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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin
Autoren: Heinrich Steinfest
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Finger die angebotene Zigarette in die Tiefe der Packung zurück und sagte: »Ich bin schwanger.«
    Er wußte nicht, was er sagen sollte. Beziehungsweise war ihm völlig klar, daß Lil kaum mit sich würde reden lassen. Sie hatte ihn ja bloß informiert. Aber irgend etwas mußte er schon von sich geben. Am besten, daß er sich freue.
    Lil kam ihm zuvor: »Du wirst dich daran gewöhnen, Liebling. Vor allem wirst du feststellen, wie schön eine Frau wird, wenn sie schwanger ist.«
    Und da hatte sie nun absolut recht. Die Madonna würde sich in eine Frau verwandeln, und das ist nun wirklich nicht als Schmälerung zu verstehen. Zur heiligen Person sollte sich die menschliche gesellen und Lils anorganische Stofflichkeit zur Lebendigkeit erweckt werden.
    Lil entschied: »Wir gehen weg aus Rom.«
    Â»Wieso?«
    Â»Das ist keine Luft für ein Baby.«
    Â»Na, in Wien ist die Luft auch nicht besser.«
    Â»Wer redet von Wien? Wir ziehen aufs Land.«
    Â»Und deine Arbeit, deine Wissenschaft?«
    Â»Nur damit ich besser das Verbrechen studieren kann, muß mein Kind keine schlechte Luft einatmen. Abgesehen davon, kann man überall Bücher lesen und überall schreiben. Und überall gibt es Kriminalität.«
    Â»Aber nicht die organisierte«, wandte Ivo ein.
    Â»Kein Ort, wo sie nicht auch organisiert wäre.«
    Â»Lil, ich bitte dich«, sagte Ivo, »du bist ein Stadtmensch. Du brauchst das Leben um dich herum, die Boutiquen, die Museen, Leute, die das Muster einer Gucci-Handtasche nicht für einen Polsterüberzug halten und Marcel Proust nicht für einen französischen Fußballer, der in England spielt.«
    Â»Sag, wie viele Leute in Rom wissen, wer Marcel Proust ist? – Und hör auf, Ivo, mir etwas ausreden zu wollen, das ich bereits beschlossen habe.«
    Â»Du kannst nicht immer so über mich drüber…?«
    Ja, was drüber ? Drüberfahren? Drüberwischen? Drüberschauen? Das tat sie ja nicht. Auch sagte sie mit keinem Wort, Ivo müsse mit ihr kommen, daß sie ihn zu etwas verpflichte, außer zu dem, zu dem er sich selbst verpflichte oder von Natur aus verpflichtet sei. Bei Lil schienen die Dinge über eine Ordnung zu verfügen, die nicht diskutierbar war. In der Art, wie man die Zukunft nicht zu ändern vermag, weil das nämlich zu unauflöslichen Paradoxien führt.
    Â»Und wohin genau, bitte?« fragte Ivo, gleichermaßen bockig wie einsichtig. Mit einem Bein im Bockigen, mit dem anderen im Einsichtigen stehend.
    Â»Giesentweis«, antwortete Lil mit derselben Bestimmtheit, mit der man sagt: Die Krater auf dem Mond kann man nicht ausradieren.
    Â»Nie gehört.« In einem ängstlichen Ton erkundigte sich Ivo, ob das in der Steiermark liege.
    Â»Giesentweis ist nicht in Österreich«, klärte Lil ihn auf, »sondern im Süddeutschen. Ich hab dort ein kleines Häuschen geerbt. Von einer entfernten Verwandten, der ich niemals begegnet bin.«
    Â»Verkauf das Haus, dann mußt du nicht nach Giesentweis.«
    Â»Wieso? Kennst du den Ort?«
    Nun, so meinte Ivo das nicht. Er hielt Süddeutschland für kaum weniger erschreckend als die Steiermark. Hingegen wäre man mit dem Geld aus einem Hausverkauf in der Lage gewesen, eine freie Ortswahl vorzunehmen, wobei Ivo fortgesetzt den italienischen Raum im Sinn hatte, wenn er schon auf die von halluzinogenen Abgasen und vatikanischen Emissionen durchsetzte römische Luft verzichten sollte. Aber Lil machte rasch klar, ein derartiges Erbe – gerade darum, weil sie niemals der Vererberin begegnet war – als Verpflichtung anzusehen. Abgesehen davon, daß man es schwerlich als Zufall nehmen könne, soeben schwanger geworden zu sein und fast im gleichen Moment die Benachrichtigung über eine Erbschaft erhalten zu haben.
    Â»Meinst du im Ernst, Gott will dir damit etwas sagen?« fragte Ivo, diesmal mit einem Fuß im Spott stehend, mit dem anderen in der Sorge. Der Sorge, diese Schwangerschaft würde Lil zwar noch schöner als schön machen, leider aber auch ein wenig verrückt.
    Lil blieb ernst und streng. Sie schien nicht bereit zu sein, ausgerechnet mit Ivo über Gott zu debattieren. Weniger, weil er Atheist war. War er ja nicht. Mit einem Atheisten hätte sie durchaus dieses Thema behandelt. Aber keinesfalls mit einem Menschen, der so völlig uneindeutig zwischen Glauben und
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