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Wolf Shadow Bd. 5 - Tödliche Versprechen

Wolf Shadow Bd. 5 - Tödliche Versprechen

Titel: Wolf Shadow Bd. 5 - Tödliche Versprechen
Autoren: Eileen Wilks
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    1
    In der schwülen Luft des Südens liegen Düfte und Gerüche besonders lange in der Luft. Schließlich sind sie nichts als Dämpfe, chemische Verbindungen, die bei Erwärmung flüchtig werden und in der feuchten Wärme hängen bleiben – wie Rule in seiner anderen Gestalt sehr wohl wusste.
    Aber in seiner jetzigen Gestalt interessierte ihn nur, wie intensiv ein Geruch war. Als er durch die silbernen Schatten des Waldes rannte, durch die von Feuchtigkeit und Düften schwere Luft, nahm er die Welt mehr mit der Nase als mit den Augen wahr. Von einem nahen Bach wehte eine Mischung aus Kudzu, Felsen und Fisch durch das üppige Grün zu ihm herüber. Der feine Vanilleduft des Rhododendrons mischte sich mit Moos, mit Blütenhartriegel und Rosskastanie, dem zuckrigen Duft des Ahorns und hier und da dem kühl-würzigen Aroma von Pinien.
    Doch es war die Spur aus Moschus, Blut und Waschbärenfell, der er folgte.
    Hoch über ihm hing der abnehmende Mond, als er den Bach mit gestreckten Hinterläufen übersprang und das berauschende Gefühl des Fliegens spürte. Beinahe wäre er auf der Beute gelandet, aber seine Beine rutschten in dem nassen roten Lehm weg. Eine Sekunde später schoss der Waschbär bereits einen Baumstamm hoch.
    Er schüttelte den Kopf. Immer kletterten diese verdammten Waschbären auf Bäume, wenn sie die Chance dazu bekamen. Er missgönnte dem Tier seine Flucht nicht, hätte es aber lieber gehabt, wenn die Jagd ein bisschen länger gedauert hätte.
    Rotwild kletterte nicht auf Bäume. Und deshalb beschloss er, Rotwild aufzuspüren.
    Die Jagd war nur ein Vorwand. Es würde noch eine Weile dauern, bis er Hunger bekam. Bevor er sich gewandelt hatte, hatte er gut gegessen. Er genoss es ganz einfach, sich zu bewegen, die Welt mit der Nase, den Ohren und unter den Ballen seiner Pfoten wahrzunehmen.
    Der Mensch in ihm – das vertraute »Ich«, das kein Wolf war – war immer noch in ihm präsent. Er hatte seine Gedanken als Mensch, seine Erfahrungen nicht vergessen; sie waren ihm nur nicht mehr so wichtig. Nicht wenn die von tausend Düften schwere Luft ihn streichelte wie warme Seide. Möglicherweise war es auch der Mensch, der einen Stich Eifersucht fühlte, wenn er hier inmitten dieses wunderbaren Waldes des amerikanischen Südens an das heißere, trockenere Land dachte, das seinem Clan zu Hause in Kalifornien gehörte. Sein Großvater hatte es gekauft, um das Clangutshaus der Nokolai dort zu errichten. Damals war Land noch billig gewesen.
    Die damalige Entscheidung war sehr vernünftig gewesen. In Kalifornien war der Clan zu Wohlstand gekommen. Aber auf dem Gut der Nokolai liefen die Wölfe über Felsen und harten Boden, nicht auf einem dicken Teppich aus Piniennadeln und Moos und durch die dunklen Schatten der Bäume, durch die nur selten ein Lichtstrahl drang.
    Als Wolf hatte Rule schon viele Gegenden durchstreift, aber diese Nacht, dieser Wald hatte etwas Besonderes. Etwas Ungekanntes. Hier war er noch nie gewesen. Denn ganz in der Nähe befand sich das Clangut der Leidolf.
    Er verspürte einen kurzen Anflug von Sorge, der jedoch schnell wieder verging. Wölfe kannten Angst. Sorge war zu sehr an das Denken gebunden, zu sehr auf die Zukunft gerichtet, als dass sie sich lange damit aufgehalten hätten. Den Teil in ihm, der Mensch war, wollte dieses Gefühl jedoch nicht so leicht loslassen, er wollte an ihm nagen, wie an einem harten Knochen. Den Wolf interessierte die einen Tag alte Spur eines Opossums mehr.
    Das war der Grund, warum er heute Nacht als Wolf lief: zu viele Sorgen, zu viele Probleme, die sich wie harte Knochen weigerten, ihr Mark freizugeben. Er hatte am eigenen Leib erfahren müssen, dass der Mann den Wolf mindestens genauso sehr brauchte wie der Wolf den Mann. Dieser Wald tat ihm gut. Probleme würde er hier zwar nicht lösen, aber heute Nacht war er auch nicht darauf aus.
    Lily sagte, sie hätten einfach noch nicht die richtigen Fragen gestellt.
    Rule blieb stehen und hob den Kopf. Sowohl der Wolf als auch der Mann dachten gerne an sie. Wenn sie nur …
    Er zuckte mit dem Ohr, wie um eine Fliege zu verjagen. Es war einfach dumm. Darin waren sich Mann und Wolf einig. Die Dinge waren, wie sie waren. Nicht wie man sie sich wünschte. Frauen wandelten sich nicht.
    Eine Stunde später war er immer noch nicht auf Rotwild gestoßen, obwohl er seine Spur oft genug gewittert hatte, zusammen mit der von einigen anderen – einem Rudel Wildhunde, einer Kupferkopfschlange und einem weiteren
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