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Schwanenschmaus im Porterhouse

Schwanenschmaus im Porterhouse

Titel: Schwanenschmaus im Porterhouse
Autoren: Tom Sharpe
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Kapitel 1
    Es war ein großartiges Gelage. Niemand, nicht einmal der Prälektor, der so alt war, daß ihm noch das Festmahl des Jahrganges 09 im Gedächtnis haftete, konnte sich an Vergleichbares erinnern – und dabei ist Porterhouse für sein Essen berühmt. Man reichte Kaviar und Soupe à l’Oignon, Turbot au Champagne, mit Pfeifenente gefüllten Schwan und schließlich, in Gedenken an den Gründer, Beefsteak von einem im großen Kamin des College-Speisesaals gebratenen ganzen Ochsen. Zu jedem Gang gab es eine andere Weinsorte, und zu jedem Gedeck gehörten fünf Gläser. Es gab Pouilly Fumé zum Fisch, Champagner zum Geflügel und den edelsten Burgunder aus dem collegeeigenen Weinkeller zum Beef. Zwei Stunden lang wurden die silbernen Platten aufgetragen, angekündigt durch das Schwirren der Flügeltüren in den Zwischenwänden, wenn die Kellner hin- und herhuschten, von ihrem Gefühl für den besonderen Anlaß und der Last der Speisen gebeugt. Zwei Stunden lang waren die Mitglieder von Porterhouse College von der Welt abgeschnitten, versunken in ein uraltes Ritual, das die Jahrhunderte überdauert hatte. Unter dem Geklapper der Messer und Gabeln, dem Klirren der Gläser, dem Rascheln der Servietten und den schlurfenden Schritten der College- Bediensteten verblaßte die Gegenwart. Draußen fegte der Winterwind durch die Straßen von Cambridge. Drinnen herrschten eitel Wärme und Geselligkeit. Auf den Tischen warfen Hunderte in silbernen Leuchtern steckende Kerzen die länglichen Schatten gebückter Kellner auf die Porträts ehemaliger Rektoren, welche die Wände schmückten. Ob ernst oder leutselig, Gelehrte oder Politiker, den Porträtierten war eines gemeinsam: Sie sahen allesamt rosig und feist aus. Der Ruf der Küche von Porterhouse war uralt. Nur der neue Rektor unterschied sich von seinen Vorgängern. Sir Godber Evans saß am High Table, dem erhöhten Ehrentisch für die Fellows des Colleges, und das mäkelige Zögern, mit dem er an seinem Schwan knabberte, wich deutlich vom unverhohlenen Genuß der anderen Fellows ab. Ein starres mürrisches Lächeln brachte etwas verbissene Bewegung in Sir Godbers blasses Gesicht, als erhole sich sein Geist bei einem abwegigen und rein intellektuellen Scherz von den gegenwärtigen fleischlichen Beschwerden.
    »Ein Abend, den man nicht so leicht vergißt, Rektor«, sagte der Obertutor salbungsvoll.
    »Allerdings, Obertutor, allerdings«, murmelte der Rektor, dessen im stillen gehüteter Scherz durch diese unerwartete Prophezeiung nur noch gewann.
    »Der Schwan ist ausgezeichnet«, befand der Dekan. »Ein angenehmer Vogel, der durch die Pfeifenente erst den richtigen Pfiff bekommt.«
    »Wirklich sehr freundlich von Ihrer Majestät, uns Ihre Genehmigung zum Verzehr von Schwänen zu erteilen«, sagte der Schatzmeister. »Das ist ein nur höchst selten gewährtes Privileg, müssen Sie wissen.«
    »Höchst selten«, bestätigte der Kaplan. »Allerdings, Kaplan, allerdings«, murmelte der Rektor und legte Messer und Gabel überkreuz. »Ich werde wohl das Beefsteak abwarten.« Er lehnte sich zurück und musterte die Gesichter der Fellows mit frischem Widerwillen. Sie waren, dachte er zum wiederholten Mal, ein atavistischer Haufen, und ganz besonders jetzt, wo sie die Servietten in ihre Kragen gestopft hatten – ein uralter Brauch dieses Colleges – da ihre Stirnen von Schweiß glänzten und ihre Münder ununterbrochen gefüllt waren. Wie wenig hatte sich doch verändert, seit er selbst in Porterhouse studiert hatte. Sogar die College-Bediensteten waren dieselben – wenigstens hatte es den Anschein. Der gleiche schlurfende Gang, die wegen Drüsenfehlfunktionen offenstehenden Münder und zitternden Unterlippen, die gleiche Unterwürfigkeit, die sein Gefühl für soziale Gerechtigkeit so oft beleidigt hatte, als er jung war. Und es immer noch beleidigte. Vierzig Jahre lang war Sir Godber unter dem Banner sozialer Gerechtigkeit marschiert – oder wenigstens flaniert –, und wenn er etwas erreicht hatte (einige Zyniker bezweifelten selbst dies), so ließ es sich auf das feine Gespür zurückführen, das er angesichts der zwischen den College-Bediensteten und den jungen Herren von Porterhouse gähnenden Kluft entwickelt hatte. Seine anschließende Karriere in der Politik zeichnete sich durch die größten Ambitionen und, wie einige sagten, geringsten Erfolge seit Asquith aus; so hatte er eine Reihe von Gesetzen durchs Parlament laviert, die – mit dem Ziel, die
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