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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin
Autoren: Heinrich Steinfest
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fast alle bedeuten etwas. Das Problem ist, wie so oft, die Auslegung. Denn jedes Zeichen trägt in sich eine Falle. Das ist wie mit dem Glück, dessen Sinn im Verschwinden besteht. Der Sinn der Zeichen ist ihr verführerisches Element. Sie wollen also nicht  richtig, sondern falsch gelesen werden, so wie ja auch eine mit Blättern und Ästen getarnte Fallgrube nicht schon auf zehn Meter als Fallgrube erkannt werden möchte, sondern eben als das, was sie nicht ist: ein normaler Waldweg.
    Als Lil nach dieser ersten verhütungslosen Nacht sowie auch weiteren entsprechenden Begegnungen nicht schwanger wurde, nahm Ivo das als ein Zeichen dafür, dies würde auch so bleiben. Weil entweder Lil im geheimen doch verhütete oder weil einer von ihnen beiden gar nicht in der Lage war, Kinder zu bekommen. Oder aber – und dies erschien dem halb gläubigen, halb ungläubigen Ivo am naheliegendsten –, weil die Sterne dafür nicht richtig standen. Ivo spekulierte, daß das Schicksal für ihn, den zukünftigen Erkunder der letzten weißen Flecken auf dieser Erde, etwas anderes bereithielt als ein Leben zwischen Windeln und Milchflaschen. Wenn er an schlaflose Nächte dachte, dann nicht wegen des Geplärrs eines Babys, sondern aufgrund des Geheuls eines Wüstensturms.
    Somit das freundliche Zeichen falsch deutend, hatte Ivo mit Lil fortgesetzt ungeschützten Sex. Eine gewisse Verkrampftheit zu Beginn war dem Gefühl gewichen, sich in absoluter Sicherheit zu befinden. Daneben muß gesagt werden, daß Lil und Ivo fortan tatsächlich als ein Paar auftraten und sich in Treue verbunden waren. Ohne jedoch als Kletten durchs Leben zu marschieren. Was zu Lils apart überlegener Art auch kaum gepaßt hätte. Immerhin bestand sie ja aus unverschmelzbaren Materialien.
    Â»Wir brauchen eine Wohnung«, sagte Lil im zweiten Monat ihrer Beziehung.
    Â»Wieso?« fragte Ivo, der sich bereits daran gewöhnt hatte, in seinem eigenen »Kinderzimmer« dem Liebesspiel nachzugehen.
    Â»Weil es keinen Spaß macht, mit deinen Eltern das Bad zu teilen.«
    Dabei waren Ivos Eltern von Lil begeistert. Sie hofften inniglich, diese Frau möge aus ihrem Sohn genau das machen, was ihnen, den Eltern, nicht gelungen war. Darum auch waren sie sofort bereit, Geld zur Verfügung zu stellen, um eine Wohnung anzumieten. Eine kleine Wohnung. Denn darauf bestand Lil, da sie meinte, große Wohnungen würden die Menschen, die in ihnen leben, häßlich machen. Ganz wie im Fall von zu großer Kleidung. Dicke Jacken, ballonartige Röcke, herunterhängende Unterhosen, englische Damenhüte, Goldketten und Brillantencolliers, das alles führe bei den Trägern und Trägerinnen zu einer bedauerlichen Monstrosität. Wie eben auch riesenhafte Wohnungen. Der Gewinn an Freiraum und somit an Freiheit müsse mit einem Verlust an eigener Identität und Größe bezahlt werden. Größe in jeder Hinsicht. Unter einem großen Kristalluster stehe immer nur ein kleiner Mensch.
    Zudem ergab sich aus der Anschaffung einer vernünftig dimensionierten und damit relativ günstigen Wohnung in Universitätsnähe das Faktum eines finanziellen Überschusses, den man verwenden konnte, um hin und wieder ein gutes Restaurant zu besuchen und sich das eine oder andere geschmackvolle Kleidungsstück zuzulegen. Jetzt, wo sie zusammengehörten, wollte Lilli, daß auch Ivo darauf achtete, womit er seine Haut umgab – und zur Einsicht kam, daß Holzfällerhemden Holzfällern vorbehalten sein sollten.
    Â»Bei deiner Freundin«, sagte einer zu Ivo, »kenn ich mich nicht aus. Ist die jetzt links oder katholisch, oder hat sie einen Modetick?«
    Ivo, der ja schon einige Zeit von Lils Wesen infiltriert war, antwortete: »An deiner Frage stimmt das oder nicht.«
    Sie lebten nun also mit exakt so vielen Möbeln, wie sie brauchen konnten, auf vierzig Quadratmetern, was angesichts der Nester und Höhlen vieler Tiere immer noch als umfangreich gelten konnte. Zudem hatte sich Ivo die intellektuelle Qualität seiner »blinden« Phase zurückerobert. Es gelang ihm – zumindest hin und wieder –, auch offenen Auges das erleuchtete Dunkel in sich wahrzunehmen. Und somit Bilder und Untertitel.
    Eine gute Zeit, ein gutes Leben.
    Im fünften Monat ihrer Partnerschaft trat Lil zu Ivo auf den kleinen Balkon, schob mit einem langen
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