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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin
Autoren: Christopher W. Gortner
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lindern? Wann haben Krankheit oder Alter sie je dazu veranlasst, sich zu schonen? Hat sie nicht vielmehr stets ihr Wohlergehen geopfert ? Von ihr habe ich gelernt, König zu sein.«
    Ich wünschte, ich hätte mit eigenen Augen sehen können, was für Mienen die hohen Herren bei solchem Lob für die italienische Jezebel machten. Doch ich bin ans Bett gefesselt. Bei jedem Atemzug erleide ich Schmerzen, als presste mir ein Schraubstock die Lungen zusammen, mein Körper wird von Fieberanfällen gequält, und meine Beine sind von gestautem Wasser ganz dick. Am Ende haben mich meine Leiden doch eingeholt. Meine Ärzte gossen mir mit Gewalt ihre widerwärtigen Mixturen die Kehle hinunter und wickelten mir ihre mit Kräutertinkturen vollgesogenen Binden um die geschwollenen Waden. Sie versicherten mir, dass ich mich erholen werde und meine gegenwärtigen Leiden nur ein einstweiliger Rückfall sind.
    Zu all dem lächle ich nur. Sie wagen nicht, laut zu sagen, was ich bereits weiß.
    Ich schlafe zu viel. Während draußen Schnee vom Himmel rieselt, schüren meine Damen unablässig die Kohlenpfannen. Meine Teppiche und mein Geschirr, meine Lieblingsporträts und das tragbare Pult – der halbe Louvre ist hier. Lucrezia ist unverbesserlich. Ich habe sie angewiesen, nicht zu viel zu packen, und was hat sie getan? Mein ganzes Gemach hat sie auf Maultiere und Karren geladen.
    Manchmal wache ich in der Nacht auf und höre meine Damen im Vorraum. Anna-Maria wollte am Fuß meines Betts schlafen, aber das habe ich nicht erlaubt. Sie ist zu alt und braucht ihr eigenes Bett, nicht irgendein Kissen auf dem Boden. Lucrezia hat sie getadelt. »Außerdem findet Ihre Hoheit bei deinem Schnarchen erst recht keinen Schlaf.«
    Anna-Maria schnarcht. Das ist mir nie aufgefallen.
    Wenn ich in der tiefsten Nacht allein mit meinen Gedanken bin, zünde ich eine Kerze an, stelle sie auf das mit Tintenflecken übersäte Löschpapier auf meinem Pult und ziehe die Kladden mit meinen Aufzeichnungen hervor. Zärtlich streichen meine Finger über die Seiten, die die Regenfluten der Loire, die Sonne von Bayonne und die Graupelschauer von Navarra überstanden haben. Mit Liebe lese ich sie und folge noch einmal den Spuren meines Lebens. Von Florenz nach Fontainebleau, von Chenonceau in den Louvre; Herzogin und Dauphine, Königin und Königinmutter — jede Rolle habe ich gespielt.
    Manchmal schlafe ich zwischen den um mich gestapelten Büchern ein, nur um beim Aufwachen festzustellen, dass sie verschwunden sind, wieder in ihrer Nische verborgen. Lucrezia steht immer vor mir auf. Sie hat mein Geheimnis gewahrt und nie ein Wort verraten. Ich weiß, ich kann mich darauf verlassen, dass sie meine Bitte erfüllt, wenn die Zeit gekommen ist.

    Welcher Tag ist heute? Ich kann mich nicht erinnern. Es muss auf Weihnachten zugehen. Früher einmal war mir die Zeit so wertvoll, unbeständig, flüchtig und stets trügerisch erschienen. Jetzt rasen die Stunden dahin wie die Fäden von Penelopes Webstuhl, die gesponnen und wieder gelöst wurden, um die Endgültigkeit abzuwenden.
    Henri tritt, in eine Moschuswolke gehüllt, zu mir. Er ist wieder zu mager. Heute trägt er maulbeerroten Samt. Sein dunkles Haar fällt ihm lose über die Schultern. Er wirkt schrecklich aufgeregt. An meinem Toilettentisch hält er inne, um die Fläschchen, Haarbürsten und den Handspiegel zu betasten. Der Handspiegel hat es ihm sichtlich angetan. Wie damals, als er ein Kind war, betrachtet er ihn mit einem begehrlichen Blick.
    »Warum lebt er noch?«, frage ich.
    Henri zuckt die Schultern, während seine geschmeidigen Finger den erhaben gearbeiteten Rahmen befummeln. »Ich warte.«
    »Du wartest? Worauf?«
    Er stellt den Spiegel zurück und kommt zu mir ans Bett. Sein Gesicht ist gerötet, aber nicht vor Zorn. Viel eher vor Vergnügen. Irgendetwas ist passiert. »Soll ich Euch ein Geheimnis verraten?« Er beugt sich über mein Ohr. »Philipp von Spanien hat, wie Ihr wisst, eine Armada entsandt, damit sie England erobert … Nun, die Tudor hat sie zerschlagen. Ganz Paris lacht jetzt über Guise, weil er von Philipp Geld angenommen hat, um seine Liga zu finanzieren. Sie haben schon überall in der Stadt Anschläge aufgehängt. ›Unbesiegbare Armada verloren gegangen! Der ehrliche Finder möge bitte seine Hoheit, den Herzog, informieren.‹«
    Mit einem schallenden Lachen richtet er sich auf. »Ist das nicht köstlich? Die ketzerische Tudor triumphiert, und Philipp ist ruiniert! Guise hat seine
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