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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin
Autoren: Christopher W. Gortner
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muss es eben mit eigenen Augen sehen. Ich muss die Gewissheit haben, dass das, was ich vor so vielen Jahren gesehen habe, als ich noch ein Kind und in Florenz war, tatsächlich eingetreten ist.

    Wir gehen durch die eiskalten Korridore. Das ganze Schloss ist erstarrt. Ich konzentriere mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Meine Beine fühlen sich an wie Granit. Meine Lungen pfeifen. Ich habe den Geschmack von Blut im Mund. Eigentlich müsste ich zusammenbrechen.
    Ich komme um eine Ecke. Dort ist sie – die offene Tür. Von drinnen höre ich Wehklagen. Lucrezia packt mich am Arm. Wir hätten hier nichts zu suchen, flüstert sie mir zu. Das sei der Trakt fürs Gesinde.
    Ich schüttele den Kopf und schleppe mich stur, wenn auch widerstrebend, weiter, als wäre ich von der Seelenwelt in eine ungewisse Sterblichkeit geweht worden. Ich bleibe stehen, halte mich am Türstock fest.
    Fremde mit tränennassem Gesicht drehen sich zu mir um. Ich kann sie nicht hören, als ich mich näher an das vor mir aufragende Bett wage, dessen Baldachin mit schwarzen Tüchern versehen ist. Lautlos bewege ich mich darauf zu, trete mit gefühllosen Füßen auf zerstoßene Winterblumen, sauge das scharfe Aroma von Binsen und Weihrauch ein, rieche es aber nicht, strecke die Hand aus, um die Vorhänge zu teilen und offenbare …
    Ich seufze bei dem lange erwarteten Anblick.
    Guises Augen sind geschlossen; seine schönen Züge wurden von dem bei seinem Überlebenskampf geflossenen Blut befreit. Seine in ihrer Vollkommenheit monumentalen Beine wirken wie in Elfenbein gemeißelt. In seine breite Brust sind dunkle Wunden gestanzt – die Stigmata von sechsundvierzig Dolchen, die in sein Fleisch gestoßen wurden. In seinen geäderten Händen ruht ein silbernes Kruzifix. Es erscheint unmöglich, dass dieser Mann so friedlich daliegen kann – dieser Mann, dessen Leben von dem Moment an mit dem meinen verflochten war, da er zum ersten Mal mit meinen Kindern spielte; den ich seinen Vater verlieren sah; der am Vorabend des Bartholomäusfests eine solch entsetzliche Gewalt entfesselte. Er war der Letzte seines Geschlechts, denn so mächtig die Familie Guise auch ist, von diesem Schlag wird sie sich nie erholen.
    Obwohl alles dagegensprach, hat am Ende Frankreich gesiegt.
    Ich trete zurück. Ich wende mich ab. Das Fieber flammt wieder auf. Meine Seele macht vor Freude einen Satz.
    Nun habe ich nur noch eine Aufgabe zu erledigen.

Blois, 1589
    Es ist vorbei. Wie mir der alte Maestro vor so vielen Jahren voraussagte, habe ich mein Schicksal erfüllt. Schon steigt das Fieber, und mein Herz flattert. Bald wird mein Hofstaat kommen, um sich zu verabschieden. Mein Sohn wird bei mir sitzen und mir die Hand halten, während meine Damen weinen. Die Wache kann beginnen.
    Ich habe meinen letzten Brief an Henri versiegelt. Darin erinnere ich ihn daran, dass der Weg zum Frieden jetzt klar vorgezeichnet ist. Wenn er ein Abkommen mit seinem bourbonischen Cousin trifft, wird Navarra seine Sicherheit und Frankreichs Zukunft garantieren. Er wird Henri regieren lassen, bis die Zeit kommt, selbst den Thron zu besteigen.
    Jetzt aber muss ich meine Bücher schließen. Lucrezia weiß, was sie zu tun hat; das ist meine letzte Pflicht, mein letztes Opfer. Ich muss meine Geheimnisse mit mir ins Grab nehmen. Doch wie widerstrebend ich diese von den Jahreszeiten eines Lebens ausgebleichten Lederbände zurücklasse! Mich von ihnen zu verabschieden, heißt, endgültig alles aufzugeben, was ich geliebt und verloren habe.
    Dies ist die letzte Seite meiner Bekenntnisse.
    Ich mische die noch verbliebenen Tropfen der Gabe des Maestro mit meinem Mohntrunk. Der Inhalt des Fläschchens ist trüb, zerbrechlich, doch trügerisch hart. Während ich das Pulver von den Seiten kratze und in meinen Kelch stäube, wundere ich mich darüber, welche Macht ein so kleiner Gegenstand entfalten kann. Nur noch ein winziger Rest ist übrig. Nach seinem jahrzehntelangen Winterschlaf hat er nicht mehr die Kraft, mich auf der Stelle zu töten, aber kann vielleicht meinen Übergang beschleunigen.
    In der heranziehenden Dunkelheit schließe ich die Augen und beschwöre zum letzten Mal die Vision von Navarra herauf, wie er, das Barett mit der weißen Feder auf dem Kopf, im Sattel seines schwarzen Schlachtrosses thront. Unter dem dichten kupferfarbenen Bart drückt sein wettergegerbtes Gesicht Entschlossenheit aus. Ich verfolge, wie der Page auf ihn zustürzt und erklärt: »Paris wird sich nicht
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