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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin
Autoren: Christopher W. Gortner
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mein Sohn Hercule Henris Geliebten erstochen hatte.
    Ich nickte Lucrezia zu, dann wickelte ich den Dolch wieder ein und begab mich auf den Weg durch die stillen Korridore.
    Henri saß in seinen Gemächern. Ich nahm neben ihm Platz, und gemeinsam warteten wir, während draußen das Dröhnen weiter anschwoll wie das Brüllen eines wilden Tieres.
    Sporadisch drangen Meldungen zu uns durch. So erfuhren wir, dass die meisten unserer Amtsträger geflohen waren, als sie gehört hatten, dass Guise die Volksmassen dazu angestachelt hatte, die Straße vor dem Palast zu verbarrikadieren, um jedes Entkommen durch das vordere Tor zu verhindern. Bis auf die Gärten der Tuilerien, die von unbewachten Mauern umschlossen waren, war jeder Weg zum und vom Palast von Guises Männern besetzt – genau wie damals beim Massaker.
    Alles war auf unsere Unterwerfung vorbereitet. Da wir die Bedingungen der Liga nicht erfüllt hatten, würde uns Guise mit Gewalt stürzen und Henris Neffen, meinen Enkel Charles, auf den Thron setzen.
    Damit hatte sich Guise endlich selbst als Verräter entlarvt. Was auch immer wir als Nächstes unternahmen, war also gerechtfertigt.
    Die nächste Botschaft wurde uns von einem von Guises Soldaten überbracht. Als dieser Henri den gefalteten Brief gereicht hatte und auf eine Antwort wartete, schielte er mehrmals ängstlich zu den längs der Wände postierten Fünfundvierzig hinüber. Mein Sohn öffnete die Mitteilung, überflog sie und ließ sie zu Boden fallen. Dann winkte er den Soldaten fort.
    »Guise befiehlt mir, mich zu ergeben.« Er blickte mich an.
    Plötzlich hatte ich ein Gefühl, als hätte mein ganzes Leben der Vorbereitung auf diesen Augenblick gedient. Gelassen ging ich zu seinem Pult und tauchte den Gänsekiel ins Tintenfass. »Dann musst du ihren Vertrag unterschreiben. Lass ihn danach hier liegen. Ich werde ihn überbringen. Pack zusammen, was du tragen kannst, nimm Louise, Valette und deine Fünfundvierzig mit und sieh zu, dass du schleunigst den Palast in Blois erreichst. Ihr könnt als Diener verkleidet durch die Tuilerien reiten. Die Tore dort lassen sich noch öffnen. Die Menge auf den Straßen wird nicht weiter auf euch achten, da ja ohnehin schon die meisten wie Ungeziefer von uns abgefallen sind.« Ich griff nach dem in das Tuch gehüllten Dolch. »Wenn die Stunde kommt, benutzt du das hier im Gedenken an deinen Guast.«
    Eine schiere Ewigkeit lang starrte Henri den Dolch an, dann beugte er sich über das Pult und kritzelte seine Unterschrift auf die Rolle. »Und was wird aus Euch?«, fragte er. »Wie kann ich Euch zurücklassen, wenn ich nicht weiß, ob Ihr in Sicherheit seid?«
    »Guise wird es nicht wagen, mir ein Härchen zu krümmen«, sagte ich sanft. »Geh. Und gleichgültig, was du hörst, kehr nicht um.«

    Guise stürmte den Louvre nicht, obwohl er kaum auf Widerstand gestoßen wäre. Die wenigen noch verbliebenen Höflinge, das Gesinde, die meisten unserer angeworbenen Wächter — sie alle waren geflohen und hatten mich und meine treuen Hofdamen unserem Schicksal überlassen.
    Während ich schlaflos vor dem Kaminfeuer saß und meine Frauen auf Pritschen schlummerten, die um mich herum aufgestellt worden waren, falls ich Hilfe brauchte, dachte ich zum ersten Mal an die Nacht zurück, als ich Guise und Henri gestattet hatte, Coligny zu ermorden. Hatte der Hugenotte damals in jenem Haus gewartet, so wie ich jetzt, weil er gewusst hatte, dass das Ende nahe war? Hatte er von Schmerzen geplagt im Bett zu seinem leidenschaftslosen Gott gebetet, oder war er durch die Winkel seiner Erinnerung zurück zu einem verzauberten Palast mit dem Namen Fontainebleau gewandert, wo er einer jungen Frau begegnet war, die allein war und dringend einen Menschen benötigte, an den sie glauben konnte? Und wenn er in den letzten Minuten an mich gedacht hatte, bevor die Tür eingetreten wurde, hatte er da gelächelt, wenn auch nur für einen Augenblick, in dem Bewusstsein, dass wir uns alle am Tag des Jüngsten Gerichts wiedersehen würden?
    In der Morgendämmerung rauchten die Lagerfeuer nur noch, und die Aufständischen lagen um ihre Barrikaden herum, sturzbetrunken von dem Wein, den Guise ausgegeben hatte. Ich erhob mich, kleidete mich an und ließ meine Sänfte in den Hof bringen. Dann trat ich selbst hinaus. Ins kalte Morgenlicht blinzelnd, sah ich zwei Fischverkäuferinnen vor dem großen Tor stehen. Als ich weiter zur Sänfte schlurfte, hörte ich eine von ihnen fauchen: »Da ist sie ja, die
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